Daniel Nikolaus Chodowiecki gilt als der populärste Kuperstecher des 18. Jahrhunderts. Seine Karriere begann er als Kaufmannslehrlung und endete schließlich als anerkannter Künstler. Helmut Bernt hat sich in seiner Dissertation mit dem Grafiker befasst und sein Leben und Wirken untersucht. Dabei steht nicht nur das künstlerische, sondern auch das unternehmerische Schaffen Chodowieckis im Fokus. Karin Leitner-Ruhe hat das Werk gelesen.
Autor Helmut Bernt ist in Sachen Daniel Chodowiecki kein Unbedarfter: bereits 1997 beschäftigte er sich in seiner Diplomarbeit »Daniel Chodowiecki im Kontext der Zeit« mit dem Berliner Künstler. Er kann also auf ein in 16 Jahren angesammeltes Wissen zurückgreifen und dementsprechend umfangreich sind Literaturliste, Fußnotenapparat und Querverweise.
In seinem ersten Kapitel führt der Autor den Leser in den künstlerischen Lebensweg von Daniel Nikolaus Chodowiecki ein. Dabei reiht er in einer äußerst kompakt lesbaren Form nicht einfach Lebensstationen und Wirkungsstätten des Künstlers chronologisch aneinander, sondern bringt diese bereits in Vorbereitung auf die folgenden Kapitel mit marktwirtschaftlichen und ökonomischen Erkenntnissen in Beziehung. Wichtig ist hierbei bereits eine dichte Zusammenstellung von »Kontakten, Bekanntschaften und freundschaftlichen Beziehungen zu ›guten Künstlern‹ (Pesne, seinen Schülern Falbe, Glume und Rode, Le Sueur oder Meil), wie es Daniel ausdrückte« (S. 29), die eine beachtliche Anzahl verschiedenartiger Anreize für Chodowieckis Entwicklung ermöglichten. So zeichnet Bernt das Bild Chodowieckis nicht nur als Künstlerpersönlichkeit, sondern auch als Sachverständigen, Kunsthändler, Sammler, Kunstkritiker und Autor sowie Lehrer und Akademiedirektor. Der Autor verknüpft den Lebenslauf Chodowieckis geschickt mit den kulturellen Entwicklungen der Zeit. So erfährt man, dass der Künstler zur französisch-reformierten Religionsgemeinschaft gehörte und Mitglied der Freimaurerloge De l’Amité [sic!] war. Interreligiöser und -kultureller Austausch, z. B. mit jüdischen Bürgern, war dem Künstler ein großes Anliegen.
In seinem Kapitel »Über das mannigfaltige Spektrum des graphischen Frühwerks – Eine Betrachtung zur künstlerischen Entwicklung Daniel Chodowieckis« legt der Autor seinen Schwerpunkt in einer bisher nicht beachteten Weise auf das Frühwerk des Künstlers und bespricht dessen künstlerisches Œuvre bis zum Durchbruch und damit bis zu den Anfängen seiner Karriere als Buchillustrator. Bernt widmet sich ausführlich den verschiedenen Werkverzeichnissen und deren unterschiedlichen Zählweisen. In die Anfangsphase des Künstlers fällt naturgemäß eine größere Experimentierfreudigkeit, hier vor allem, was die druckgraphischen Techniken anbelangt – in diesem Fall zusätzlich auch noch als Laie. Wer kennt schon das einzige Schabblatt von Chodowiecki? Bekannter sind seine Aquatintaversuche. Letztendlich findet er sein Medium, in dem er sich am besten ausdrücken kann: die Radierung. Der gezielt gerichtete Blick auf die Anfangszeit des Autodidakten Chodowiecki, der von einer Kaufmannsausbildung kam, ermöglicht es Bernt, tiefere Absichten und Entwicklungsschritte sichtbar zu machen und Rückschlüsse über eine geplante Karriere zu ziehen. Die früh in seinem Werk auftauchende, auf Verinnerlichung abzielende Darstellungsweise des intimen bürgerlichen Familienlebens kam den Anschauungen und Anforderungen der Ästhetik der Aufklärung entgegen, die ihrerseits Einfluss auf Chodowieckis Personalstil (Manier) ausübten.
Im vierten Kapitel, »Chodowieckis Werdegang im sozialen Kontext Berlins aus der Sicht von Bourdieus Feldtheorie und dem des symbolischen Kapitals sowie Luhmanns Modell funktional differenzierter Systeme«, geht Bernt nochmals gründlicher auf die Werkverzeichnisse ein, die bereits zu Lebzeiten des Künstlers, zum Teil von ihm selbst, verfasst wurden. Als Teil seiner Geschäftspraxis versandte er diese Werkverzeichnisse und betätigte sich so als Kunsthändler in eigener Sache. Dies ist insofern von Bedeutung, da neue Medien (z. B. periodische Zeitschriften, Publikationen einer neueren Kunsthistoriographie) für die Kunstvermittlung in der Öffentlichkeit wichtig wurden. Öffentliche Ausstellungen, die andernorts eine Besprechung nach sich zogen, wurden in Berlin erst 1786 mit der ersten Ausstellung der Königlichen Kunstakademie ins Leben gerufen.
Sein merkantilistisches Denken sowie die vielfältigen Kontakte des Künstlers führen zu Bernts Verknüpfung von Chodowieckis Werdegang im sozialen Kontext Berlins mit Bourdieus Feldtheorie und dem des symbolischen Kapitals sowie Luhmanns Modell funktional differenzierter Systeme. Der Autor attestiert zwar, dass die Theorien Bourdieus nur teilweise für Chodowieckis Lebens- und Schaffenszeit anwendbar sind, er versucht aber eine Anpassung der Regeln an die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts. So setzt er aus zahlreichen Komponenten ein Netzwerk von Philosophen, Autoren, Verlegern, Kulturschaffenden etc. in Berlin zusammen, die im Sinne der Bourdieu’schen Theorie umgesetzt das kulturelle Kapital Chodowieckis bedeuten. Der Theorie folgend schildert Bernt aber auch gegenläufig Chodowieckis Einflussnahme auf seine Umgebung durch seine Werke und seine Persönlichkeit. Als Beispiel für das Habitusprinzip nach Pierre Bourdieu bespricht Bernt u. a. die Radierung »Cabinet d'un peintre«: Indem die Darstellung über den ursprünglichen Zweck hinaus zum Verkauf gelangte, unterstützte der Künstler durch seinen Auftritt in der bürgerlichen Öffentlichkeit gemeinsam mit seiner Familie als Persönlichkeit aktiv die Vermittlung moderner Lebenshaltungen sowie die bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen durch die Preisgabe der persönlichen, intimen Lebensweise. Dem Schwerpunkt der Vermarktung von Kunst in Berlin und Ostpreußen dieser Zeit stellt Bernt auch eine kurze, äußerst informative Betrachtung der beiden zur gleichen Zeit wichtigsten Zentren gegenüber: Paris und London.
Ein nicht unwesentlicher Anteil am merkantilistischen Denken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird im fünften Kapitel, »Chodowiecki und sein kulturelles, sozialpolitisches und ökonomisches Umfeld – Über königliche Macht, aufgeklärten absolutistischen Staat und dessen Gesellschaft«, durch die Bedeutung der Kunstakademien, in diesem Fall der Berliner, besprochen. Chodowiecki, der sich gegen seinen Freund Bernhard Rode und damit auf die Seite der Reformer stellte, stand der Berliner Akademie ab 1798 selbst vor. In diesem Kapitel unternimmt Bernt auch einen kurzen Ausflug ins »friderizianische Rokoko« mit Verknüpfungen zu Chodowiecki. »Der Einfluss verschiedener theoretischer Modelle aus den Bereichen wie Ästhetik, Literatur und Theater sowie gemalter bzw. gedruckter Vorbilder wird erkennbar.« (S. 199) Diese Konstellation zeigt sich nachhaltig in Chodowieckis letztendlichem künstlerischen Durchbruch mit »Les Adieux de Calas à sa famille« oder »Der Abschied des Calas von seiner Familie« (1765–1768), in dessen Rezeption ein Einfluss von Nicolai, Lessing, Sulzer und Mendelssohn vorhanden ist und im sechsten Kapitel der Publikation genau dargestellt wird.
Die Intention des Autors ist es, die Ursachen der ungewöhnlichen Karriere des Daniel Nikolaus Chodowiecki vom Miniaturmaler zum äußerst erfolgreichen Buchillustrator zu analysieren. Sein Schwerpunkt liegt dabei – ähnlich wie bei der Publikation von Svetlana Alpers, »Rembrandt als Unternehmer« – auf dem Künstler als Netzwerker und Geschäftsmann. Neu ist hier die Verknüpfung mit der Feldtheorie Bourdieus und Luhmanns systemorientierter soziologischer Kunsttheorie. Bernt führt hierbei parallel die Stränge der künstlerischen Entwicklung Chodowieckis und die soziologisch-ökonomischen Verbindungen des Künstlers. Im komprimierten Stil und mit äußerst kompakter Sprache lässt der Autor keinen Zeitaspekt und keine namhafte Persönlichkeit im Umkreis des Berliner Genies außer Acht.
Als Kritikpunkte können lediglich Tipp-, Satzzeichen- und Grammatikfehler, die den Lesefluss immer wieder stören, angeführt werden; schade ist auch, dass die Fotoqualität eher schlecht ist, sodass Details oft schwer erkannt werden können. Querverweise sind manchmal missverständlich und die Zählung der Abbildungen nicht nachvollziehbar – die Zählung beginnt z. B. mit 12a. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der Verlag (immerhin ein Universitätsverlag!) keinen Lektor hinzugezogen hat. Dies alles schmälert aber in keiner Weise Bernts inhaltliche Bearbeitung und intensive Auseinandersetzung mit dem Thema!