Rezensionen

Jonny Clowes (Hg.): Hunde. Fotografien aus dem Magnum–Archiv. DuMont Verlag

Beim Wort »Magnum« mögen einige Kinder an ihr Lieblingseis, Formel–1–Fans ans Siegertreppchen und Champagnerflaschen denken, doch Freunde der Fotografie steigt ein Strahlen in die Augen. Sie haben sofort die genossenschaftlich organisierte Agentur gleichen Namens im Sinn, welche am 27. April 1947 von vier Giganten ihres Faches, Henri Cartier–Bresson, Robert Capa, David Seymour und George Rodger in New York gegründet wurde. Was anfangs wirtschaftlich motiviert war, um bei den vielen Illustrierten, die an guten Reportage– und Kriegsfotos interessiert waren, sich besser vermarkten zu können, wurde zum Inbegriff herausragender Fotografie. Eine Auswahl von 200 einzigartigen Fotografien zum Thema Hund hat nun Jonny Clowes aus den Archiven zusammengestellt. Dem Hundehalter Walter Kayser erwärmte es das Herz.

Cover © Dumont Verlag
Cover © Dumont Verlag

Angeblich streiten ja noch die Experten der zuständigen Wissenschaft, der »Kynologie«, wie und wann das genau mit der Domestizierung vor sich ging: Hat sich nun der Wolf als ältester Begleiter des Menschen diesem angeboten und sich schließlich zum Haushund herabgelassen, oder war es umgekehrt und der Mensch folgte dem erfolgreicherem tierischem Jäger, weil er dann und wann gnädiger Weise von dessen Beute manchmal etwas abbekam?
Wie dem auch sei, erfolgreiche Viehzucht ohne Hütehund war bald kaum noch denkbar und so entstand die älteste Teamarbeit zwischen Mensch und Tier und eine Partnerschaft zu beiderseitigem Vorteil. Jedenfalls gibt es heute Hunde überall, auf allen Kontinenten und in allen sozialen Schichten, vom Obdachlosen in der Unterführung bis zu den kurzbeinigen Welsh Corgi der englischen Queen. Sie alle tauchen in diesem Buch irgendwo auf: räudige Straßenhunde wie verhätschelte Prestigesymbole der versnobten »Happy Few«, die immer verrückteren Skurrilitäten skrupelloser Züchter wie die draufgängerischen Promenadenmischungen.

Von Anfang an fotografierten »Magnum«–Mitglieder nicht nur historische
Ereignisse, sondern auch zentrale Figuren der Populärkultur, Porträts berühmter Freunde, Szenen aus dem Privatleben der Stars wie aus dem Alltag all der namenlosen Vielen – stets Tragisches wie extrem Humoriges. Das ethische Konzept der freien Fotoagentur entstand unter Robert Capas (1913–1954) dynamischer Führung und war von Beginn an von einer breiten humanistischen Gesinnung geprägt. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, und schon zuvor des blutigen Spanischen Bürgerkriegs, der breite Antisemitismus, vor dem Robert Capa und David Seymour (1911–1956) selbst fliehen mussten, prägte die Haltung der jungen Garde an Dokumentarjournalisten. Ihre neue Art, die Welt zu sehen, war bedingt durch zwei Faktoren: das Aufkommen von Fotozeitschriften wie »TIME«, »LIFE« oder »STERN« und der Einsatz tragbarer Kameras, vor allem der handlichen Leica. Entsprechend war Unerschrockenheit, mutige Dokumentation der Missstände, eine unmittelbare Nähe zu den Menschen in Wahrhaftigkeit und Anteilnahme war das Markenzeichen der engagierten Fotografen.
Wer mitten im Gewühl auf den entscheidenden Augenblick lauert, den es festzuhalten gilt, hat in Hunden ein dankbares Gegenüber. Denn diese sind immer unbefangene Objekte, und das ist sicherlich ein entscheidender Grund, warum die Spezies der »Magnum«–Fotografen die Vierbeiner besonders schätzten und schätzen. Der gegen Ende sehr einsame und gichtige Alte Fritz, welcher sich zusammen mit seinen Windhunden in Sanssouci beerdigen ließ, behauptete sogar, Hunde hätten alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne gleichzeitig seine Fehler zu besitzen. Da hat der aufgeklärte Misanthrop vielleicht übertrieben; aber aus fotografischer Sicht lässt sich eine Charakterstärke nicht leugnen: Hunde posieren nicht, wenn sie sich vor einer Kameralinse befinden. Sie sind uneitel und immer authentisch.

Blick ins Buch © Dumont Verlag
Blick ins Buch © Dumont Verlag

Der Herausgeber dieses äußerst kurzweiligen Bandes, Jonny Clowes, ist wie alle Briten ein Hundenarr und bezeichnet sich augenzwinkernd als »Profi im Hundeausführen«, der sich zwischen den Spaziergängen »im Verlagswesen und als freier Autor versucht«. Immerhin kann er auf einschlägige akademische Meriten verweisen, hat er doch mit seiner Magisterarbeit seinerzeit alles Nötige zum weltbewegenden Thema »Die Rolle des Hundes in Homers Odyssee« gesagt. Clowes gliedert diesen Band in 5 Kapitel – eine Einteilung, die keinesfalls zwingend erscheint, weil sie nur mühsam die Vielfalt der versammelten Szenen und Geschichten zu zähmen versteht.
Eingangs wird das eigentliche Revier des Hundes wie auch der »Magnum«–Fotografen betreten: die Straße. Die Fotografen gerade dieser Agentur sind ja Jäger des sagenumwobenen »Schlüsselmoments«, jener treffenden »Schnappschüsse« im Getümmel, die dem Augenblick dauerhafte Gültigkeit zu geben verstehen und im Besonderen das »sprechende« Allgemeine einfangen. Das kann ein historischer Moment sein, in dem sich eine ganze Epoche zusammenballt, oder eben auch eine unwiederbringliche Konstellation an Situationskomik. Das Format des Bandes ist breit, aber handlich. Jedem Bild ist eine eigene Buchseite vorbehalten. So kommt es schön zur Wirkung. In sehr kleiner Schrift wird auf den jeweiligen Fotografen und Ort und Jahr des Fotos verwiesen, manchmal auch auf die bekannte Persönlichkeit, die sich hier mit ihrem Hund zeigt. Von Zeit zu Zeit gibt es eine kurze Sentenz eines Fotografen. Das ist meistens nicht gerade erhellend, aber das braucht es auch nicht, denn nach dem Durchblättern bewahrheitet sich, was auf der Rückseite des Leineneinbands zu lesen ist: »Hunde sind Garanten für Chaos, Verwüstung und ehrliche Freude – und damit für alles, was ein Foto authentisch macht«.

Blick ins Buch © Dumont Verlag
Blick ins Buch © Dumont Verlag

Dass das Verhältnis zwischen Mensch und Hund keinesfalls so eindeutig hierarchisch geordnet ist, wie sich das der Hundehalter gerne einbildet, zeigt sich besonders im zweiten Abschnitt, betitelt »Showtime«. Hier geht es um die groteske Funktionalisierung des vierbeinigen Hätschelkindes auf Hundeausstellungen. Der Hund ist als Blickfang nur Vorwand, denn im Grunde sind es Szenen, welche die Menschen der Lächerlichkeit preisgeben. Wie ein zeitgenössischer Hundeliebhaber so schön feststellte, verrät ja der Sprachgebrauch, wenn er von »Hund und Herrchen« redet, unbeabsichtigt die »richtige Konstellation, nicht etwa Herr und Hundchen«. Im dritten Kapitel »Am Strand« dominieren jene Augenblicke von Vitalität und Spontaneität, um die wir Menschen, nachdem wir das Tierische in uns mehr und mehr zu verneinen pflegen, heimlich den vierbeinigen Freund beneiden: Lebenslust pur. Dabei ist es für die Fotografen erklärtermaßen ein besonderer Vorteil, dass Hunde sich im entscheidenden Augenblick nicht um gesellschaftliche Konventionen und Etikette scheren. Sie benehmen sich »daneben«, einfach ungeniert »schlecht«, eben animalisch, – und decken gerade dadurch oft das auf, was im Menschen an unterdrücktem Erbe schlummert.

Blick ins Buch © Dumont Verlag
Blick ins Buch © Dumont Verlag

»Hinter den Kulissen« fängt eine Spezialität der Magnum–Fotografie ein: der Blick ins Privatleben jener im Rampenlicht stehenden Berühmtheiten, die hier, und manchmal nur hier, im Zusammensein mit ihren vierbeinigen Ersatzkindern und getreuen Gefährten, ihre menschliche Seite zeigen dürfen. Wenn die unglückliche Schöne Marilyn Monroe einmal bekannte »Hunde beißen mich nie. Nur Menschen«, dann steht sie damit vermutlich für viele Stars. Es ist müßig, die vielen Aspekte zu erwähnen, welche die Bilder so reizvoll machen und welche sich keineswegs in eine klare Rubrik einordnen lassen (vielleicht hat deshalb das letzte Kapitel für all die Bilder, die andernorts nicht unterzubringen waren, den etwas einfallslosen Titel »Was für ein Leben« erhalten): Es geht um die immer wieder aufscheinende und entlarvende Anthropomorphisierung des Tieres, seine ins Groteske gesteigerte Verhätschelung und Verwöhntheit, aber auch um die Wahlverwandtschaft und mit der Zeit wachsende äußere Angleichung von Hundehalter und seinem Rassetier… »Magnum« und Hunde – das ergibt einfach ein spritziges Vergnügen voller prickelndem visuellem Witz.


Magnum Photos – HUNDE
Fotografien aus dem Magnum–Archiv
Hg. Jonny Clowes/Übersetzung: Susanne Philippi
Hardcover gebunden
208 Seiten, 65 farbige Abbildungen, 130 s/w Abbildungen
Originalverlag: Thames & Hudson, London 2021, Originaltitel: Magnum Dogs
DuMont–Verlag, Köln
ISBN 978–3–8321–9991–3

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