Die Konferenz zielt auf die Frage, wie Künstlerästhetiken im Rahmen des Œuvres fungieren. Welche Bindungen haben sie an das Werk? Sind sie konstitutiver Teil seiner ästhetischen Einheit oder schaffen sie vielmehr eine arbiträre Bedeutungsstruktur, die an das Werk nachträglich herangetragen wird und den Blick darauf eher verstellt als erhellt? Wo erzählt der Künstler seine Geschichte: im Werk, in der begleitenden Schrift, in ihrer Verbindung oder in ihrer Differenz?
Schon Theo van Doesburg fand sich mit der Kritik konfrontiert, zeitgenössische Künstler seien zu sehr Theoretiker und ihre Werke entstünden aus a priori angenommenen Theorien. In seinen Grundbegriffen der Neuen Gestaltenden Kunst (1924) antwortet er darauf: In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall. Die Theorie entstand als notwendige Folge der schaffenden Tätigkeit. Die Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern aus der Kunst heraus. Van Doesburgs Stellungnahme dient nicht nur zur Rechtfertigung der eigenen theoretischen Arbeit, die der Künstler mit den Grundbegriffen erstmals in einer Publikation fixiert. Sie zeigt zugleich, dass das Verhältnis zwischen künstlerischer Theoriebildung und Praxis in der Moderne schon damals Anlass zur Diskussion gab.
Im Œuvre moderner und zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler steht die verbale Selbstreflexion oft gleichberechtigt neben der visuellen Produktion. Die Gründe für diese Parallelität sind vielfältig: sei es der Versuch, Interpretations- oder Rezeptionsmodelle für das eigene Werk einzuführen, die bestehende Kunstgeschichtsschreibung zu ‚korrigieren’, eine neuartige Arbeitsweise zu legitimieren oder autobiographisch zu wirken. Das ihnen gemeinsame Ziel, die Etablierung der Deutungshoheit durch den Künstler selbst, liegt aber auf der Hand. Die radikale Selbstbefreiung der modernen Kunst aus den ikonographischen Konventionen und die damit einhergehende Öffnung für eine Vielfalt von Deutungen führt seitens der Künstler somit oft zum Versuch einer Re-Semantisierung, der von der Kunstwissenschaft nicht ignoriert werden sollte. In der Auseinandersetzung mit den Künstlerästhetiken bewegt sich die Forschung in einem Kontinuum, das von der direkten Übernahme der Selbstdeutung als gültige Interpretationshilfe und der vollständigen Trennung von Werk und Schrift als zwei voneinander unabhängigen, ja einander möglicherweise diametral gegenüber stehenden Phänomene reicht.
Die Konferenz Künstlerische Theoriebildung und Praxis in der Moderne zielt auf die Frage, wie Künstlerästhetiken im Rahmen des Œuvres fungieren. Welche Bindungen haben sie an das Werk? Sind sie konstitutiver Teil seiner ästhetischen Einheit oder schaffen sie vielmehr eine arbiträre Bedeutungsstruktur, die an das Werk nachträglich herangetragen wird und den Blick darauf eher verstellt als erhellt? Wo erzählt der Künstler seine Geschichte: im Werk, in der begleitenden Schrift, in ihrer Verbindung oder in ihrer Differenz?
Die dreitägige Konferenz bietet eine Plattform, auf der unterschiedliche methodische Herangehensweisen an diese Fragen exemplarisch vorgestellt und diskutiert werden. Die Beiträge setzen sich zum einen auf theoretischer Ebene mit der Frage nach Verbindungen und Brüchen zwischen Werk und Künstlerästhetik auseinander und zum anderen diskutieren sie an exemplarischen Fällen verschiedene Modi des Umgangs mit diesen beiden Phänomenen. Bei einem relativ offenen geografischen und zeitlichen Rahmen konzentriert sich die Konferenz auf die umrissene systematische Problemstellung.
Freitag, 19.11.2010
9.30 Eva Ehninger und Magdalena Nieslony
(Goethe-Universität, Frankfurt/Main): Begrüßung und Einführung
Sektion 1 (Leitung: Iris Wien)
9.45 Peter J. Schneemann (Universität Bern):
Typologie der künstlerischen Theoriebildung nach Funktionen
10.30 Kaffeepause
11.00 Julia Gelshorn (Universität Wien):
Künstlerwissen? Objektivität und Fiktionalität in der zeitgenössischen Kunst
11.45 Johannes Meinhardt (Hochschule für Gestaltung, Schwäbisch Hall):
Der Geist in der Kunst. Künstlerische Entscheidung und Theoretische Überdetermination
12.30 Mittagspause
Sektion 2 (Leitung: Lars Blunck)
14.00 Michael F. Zimmermann (KU, Eichstätt-Ingolstadt):
Umberto Boccioni als Autobiograph und als Ideologe des Futurismus: Lebensstrom und Formfindung, Obsession und Programm
14.45 Magdalena Nieslony (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Apologien des Suprematismus. Bilder, Texte, Diagramme
15.30 Kaffeepause
16.00 Gregor Wedekind (Gutenberg-Universität, Mainz):
Theorie nach Kunst – Kunst nach Theorie? Zur Praxis der Selbstreflexion bei Paul Klee
16.45 David Joselit (Yale University, New Haven):
The Scarce and the Saturated
Samstag, 20.11.2010
Sektion 3 (Leitung: Henning Engelke)
9.30 Tobias Vogt (Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris/FU, Berlin):
Künstlertheorien der Theorieverweigerung
10.15 Eva Ehninger (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Bildkritik vs. Überwindung des Bildes. Praxis und Theorie der amerikanischen Minimal Art
11.00 Kaffeepause
11.30 Dieter Schwarz (Kunstmuseum Winterthur):
Künstlertheorien in den USA und in Italien
12.15 Dominic Rahtz (UCA, Canterbury):
Daniel Buren’s Theoretical Practice
13.00 Mittagspause
Sektion 4 (Leitung: Christian Janecke)
14.30 Sabine Kampmann (HBK, Braunschweig):
Das Interview als Tarnkappe: Andy Warhol und Christian Boltanski
15.15 Antje Krause-Wahl (AfBK, Mainz):
Von der Artist’s Lecture zur Lecture Performance - Formen der Künstlerischen Theoriebildung in Künstlervorträgen
16.00 Kaffeepause
16.30 Felix Thürlemann (Universität Konstanz):
Wenn alles von Belang ist: Wolfgang Tillmans’ künstlerisch-theoretischer Komplex
Sonntag, 21.11.2010
Sektion 5 (Leitung: Hans Aurenhammer)
9.30 Isabelle Graw (Städelschule, Frankfurt/Main):
Theoretisierende Maler/innen und malereikritische Theorie
10.15 Juliane Rebentisch (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
Kunsttheorie und Künstlertheorie
11.00 Kaffeepause
11.30 Kristine Stiles (Duke University, Durham):
Writing Artists and Writing about Artists
12.15 Regine Prange (Goethe-Universität, Frankfurt/Main):
...wo das Schauspiel des Lebens sich mit seiner Analyse mischt... -
Jean-Luc Godards filmisches Œuvre als ästhetische Theorie
13.00 Abschließende Diskussion
Konzeption/Organisation: Eva Ehninger und Magdalena Nieslony
Veranstaltungsort: Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Campus Westend, Casinogebäude, Raum 1.801
Die Veranstaltung ist öffentlich und der Eintritt ist kostenfrei. Anmeldung erbeten unter nieslony@kunst.uni-frankfurt.de
Hinweise unter www.uni-frankfurt.de/theorie-praxis.htm.