Welchem Zweck soll ein öffentliches Museum dienen? Muss eine Ausstellung vor allem die Wissenschaft fördern – oder breite Besucher-Massen mit Kunst in Berührung bringen? Und wie steht das Museum zum Künstler – nimmt es seinen Werken am Ende gar die Aura? Mit diesen Fragen befassen sich die Quellentexte aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, welche Kristina Kratz-Kessemeier, Andrea Meyer und Bénédicte Savoy nun in ihrem Buch »Museumsgeschichte« herausgegeben haben. Eine spannende Anthologie – gerade vor dem Hintergrund musealer Event-Kultur, findet Cornelia Lütkemeier.
»Ich liebe Museen nicht sonderlich«, bekannte der Philosoph und Lyriker Paul Valéry 1923. »Das Ohr würde es nicht ertragen, zehn Orchester gleichzeitig anhören zu müssen (…), der Geist vermag nicht, mehrere unterschiedliche Unternehmungen auf einmal zu verfolgen (…). Den Augen aber wird bei jedem Aufwinkeln ihrer Pforten (…) zugemutet, ein Portrait, ein Seestück, ein Kücheninneres und einen Triumphzug einzulassen«. Der Futurist Filippo Tommaso Marinetti bezeichnete Museen gar als »Kalvarienberge gekreuzigter Träume.«. Und der Kunsthistoriker Hans Tietze polemisierte 1925, das Museum sei »die Versorgungsanstalt, in der ausgediente Kunstwerke das Gnadenbrot genießen« und fragte ironisch: »Ist dieser Massengenuß von Werken, die aus ihrem Zusammenhang gerissen worden sind, diese Defilierung von Krüppeln (…) ein Zeichen kultureller Höhe und künstlerischen Feingefühls«?
Die Spötteleien haben durchaus Tiefgang – behandeln sie doch die beiden wichtigsten Kernfragen, mit denen das Museumswesen von jeher zu tun hat: Wie kann man ein Kunstwerk, das aus seinem ursprünglichen Kontext herausgerissen wurde, angemessen präsentieren? Und wie kann man es sinnvoll im Verhältnis zu anderen Werken anordnen – eine Notwendigkeit, die sich aus der Beschränkung des Ausstellungsraumes fast immer ergibt?
Wie vielseitig die Lösungsansätze für Museumgestaltung seit dem 19. Jahrhundert in Europa und den USA waren, das belegen die 38 Quellentexte äußerst anschaulich.
Spannend liest es sich etwa, wie leidenschaftlich man Wilhelm Bodes Konzept des Stilraums verdammte, welcher die ursprüngliche Umgebung des Kunstwerks möglichst stimmungsvoll rekonstruieren sollte. »Man glaubt Bernini auferstanden«, spottete ein Anonymus 1848 in einem Artikel über das Neue Museum. So finde man in den ägyptischen Sälen »was der Rücken der Kamele im Ganzen nicht tragen konnte (…); was aber der fleißige Lepsius dem Vaterlande lassen musste, das haben die Maler copiert, und wir sehen die Wände, die Decken, Alles bunt mit ägyptischen Figuren bemalt«. Noch 1945 sah sich Kenneth Clark zu harscher Kritik an diesem Konzept veranlasst: »Diese Räume sind im Grunde eine Fälschung. (…) Wir wissen, dass ein Raum in der Renaissance nicht so ausgesehen hat und wir fühlen uns als Opfer eines anmaßenden Betrugs«.
John Ruskin forderte bereits 1852, alle Bilder aus konservatorischen Gründen zu verglasen und nur auf einer Linie zu hängen statt bis unter die Decke des Museums. »Ich weiß, dass der effektvolle Gesamteindruck der National Gallery durch ein solches Arrangement vollständig zerstört werden würde. Doch bedeutende Gemälde sollten nicht Sache von ‚Gesamteindrücken‘ sein«.
Den sozialen Anspruch der Museumsreformbewegung dokumentieren etwa die Äußerungen Alfred Lichtwarks, Leiter der Hamburger Kunsthalle: »Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift. Und das ist ja keine lediglich sittlich-ästhetische, sondern eine ganz hervorragend socialökonomische Frage«, forderte dieser 1886 mutig in seiner Antrittsrede – vor dem Hintergrund der eben in Hamburg erlassenen Sozialistengesetze. Visionär hob Lichtwark auch die Bedeutung der Museumspädagogik hervor: »Die Kinder, denen die Augen geöffnet sind, bringen uns die Eltern ins Haus«.
»Eine auf Überblick zielende Sammlung wichtiger Schlüsseldokumente zur Museumsgeschichte« wollen die Herausgeber mit Ihrem Buch liefern. Das Vorhaben ist großartig gelungen: Die Texte sind schlüssig nach Themenbereichen und Chronologie geordnet, einordnende Kommentare und weiterführende Literaturangaben bereichern die einzelnen Schriften. 19 Autoren und Übersetzer haben dafür an der vielseitigen Auswahl mitgearbeitet.
Fazit: Eine spannende Fragestellung mit überzeugender Lösung. Nach Ende der Lektüre bleibt nur ein Wunsch offen: Ein Fortsetzungsband mit Quellentexten aus der zweiten Hälfte des 20. sowie des 21. Jahrhunderts.