Ausstellungsbesprechungen

Nach Ägypten! Die Reisen von Max Slevogt und Paul Klee, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, bis 4. Januar 2015

Ägypten. Land der Pharaonen, der Pyramiden, des Nils. Doch nicht nur heute fasziniert das nordafrikanische Land: Seit Napoleon fanden Forscher, Intellektuelle und Künstler hier Inspiration und besuchten die Pyramiden, schifften sich auf Nilkreuzern ein und ließen sich von den Metropolen Kairo und Alexandria begeistern. So auch Max Slevogt und Paul Klee. Beider Impressionen sind nun in einer Ausstellung zu sehen. Walter Kayser weiß, was es so alles zu sehen gibt.

»Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon«, sagte der Nordafrikaner Augustinus. Doch kann man, nur weil sie beide dasselbe Land bereisten, stilistisch so inkommensurable Maler wie Max Slevogt und Paul Klee vergleichen? Wenn das tertium comparationis Ägypten heißt, dann schon. Ägypten hat eine Kraft. Ägypten entfaltet unwiderstehlichen Zauber. Napoleon stieß die Tür auf zum Land der Pharaonen. Die Ägyptologie und Jean-François Champollion kamen in seinem Gefolge. Ihnen folgten bald Scharen von Archäologen und Künstler aus allen europäischen Staaten. Die von Frankreich ausgehende Bewegung des Orientalismus wurde breiter, jene akademische Strömung, in der sich das nostalgische Projektionsbedürfnis aufgeklärter Westler auf den »mystischen« Osten und die Suche nach dem »Anderen der Vernunft« ausspricht. Bei allem Schwulst, bei aller verquaster Romantik, die Sinnlichkeit mit dunkelhäutiger Exotik verquickt, auch die Avantgarde der modernen Künstler suchte im fernen Ägypten das mystische Land der Jenseitsreisen und die spirituelle Inspirationsquelle einer europafernen Ursprungskultur.

Wie äußert sich diese Bewegung des 19. Jahrhunderts, die zu Recht als verbrämter Kulturimperialismus kritisiert wurde, noch in so späten Repräsentanten wie Max Slevogt und Paul Klee? So sehr sich auch die Lebensdaten der beiden Künstler überschneiden mögen, es bleibt doch der eine eher ein letzter Nachkömmling der Delacroixschen Romantik und des Impressionismus und damit rückwärtsgewandt. Der Jüngere, Paul Klee, ist dagegen stets der reflektierende, in abstrakte Geistigkeit und autonome ästhetische Abstraktion transformierende Bauhäusler,– ohne Zweifel ein poetisch-skurriler Leuchtturm der Avantgarde.

Schon rein zeitlich ist die Grand Tour beider Künstler versetzt. Sehr Entscheidendes hatte sich zwischen ihrer beider Reisen politisch verändert: Im Frühjahr 1914, als Slevogt nach Ägypten aufbrach, war nämlich das Land am Nil noch unter britischer Kolonialherrschaft, 15 Jahre später, 1928/29, schon einige Jahre unabhängig. Beide Maler wählten dieselbe klassische Route, die heute noch Millionen von Touristen abfahren. Man beginnt im Norden und macht sich nilaufwärts von Alexandria über Kairo und Luxor hinauf nach Assuan, auf den Weg in den tiefen nubischen Süden.

Slevogt bereist Ägypten noch als ein Maler-Expediteur, bestens organisiert und durch britische Protektoren und einen ganzen Stab an Begleitern gegenüber jeder echten Alteritätserfahrung ziemlich abgesichert. Zu seinen Begleitern gehörte Eduard Fuchs, der berühmte Sammler von Erotika und Verfasser einer Sittengeschichte. Beachtliche 60 Fotografien machte der während der Reise. Dabei hielt er nicht nur die Motive exakt fest, die wir auf den Gemälden Slevogts dann wiederfinden, wir sehen auch ihrer Entstehung selbst zu, während ein nubischer Knabe den Sonnenschirm über den Weißen aus Europa zu halten hat.

In jedem Fall bleiben die unterschiedlichen Persönlichkeiten und ästhetischen Prägungen, dieser entscheidende stilistische Umbruch vom Impressionismus zur klassischen Moderne, vom Malen vor dem Objekt zum Umsetzen des Gesehenen in einer autonomen Parallelwelt der Abstraktion, weitaus gewichtiger als die politischen Rahmenbedingungen. Wir erinnern uns an die berühmte Eintragung Klees auf der Tunisreise, zur selben Zeit, als Slevogt nach Ägypten fuhr: »Donnerstag, den 16. April […] Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn. Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler«, war sein Bekenntnis am Vorabend des 1. Weltkriegs gewesen. Ist es deshalb vielleicht in erster Linie das Licht, das beide Maler reizte, die farbigen Schatten, der tiefblaue Himmel, diese gleißende, durch nichts absorbierte Sonne der Wüste? Wie weit wirkt der Traum vom exotischen Paradies, der Eskapismus eines Delacroix, eines Flaubert, eines Paul Gauguin, eines Matisse und Emil Nolde noch nach?

Zumindest für Slevogt gilt, dass es genauso gut »auch Mexiko oder Indien sein können«, wie der Kunsthistoriker Emil Waldmann, bezeugt hat. Für ihn, den Pleinair-Maler, kam es in erster Linie auf das flirrende Licht, die Unmittelbarkeit einer gleißenden Sonne, auf die Farbigkeit des Lebens und malerische Andersartigkeit der Menschen an. Insofern steht er nicht nur stilistisch, sondern auch thematisch weitaus mehr in der Tradition. Schon seit geraumer Zeit zeugt ein ganzer Raum mit 20 Bildern im oberen Stockwerk der Dresdner Gemäldegalerie davon, dass für Slevogt Ägypten das war, was Klee schon in den drei Wochen auf der legendären Tunisreise 1914 erlebte. Wenngleich es kein Damaskus-Erlebnis war, so doch ein produktiver Rausch und er kommt sich, ganz wie Klee in Tunis, vor wie eine »Malmaschine, die nur sieht, verdaut u. wiedergibt.«

Paul Klee blieb zur Jahreswende 1928/29 auf andere Weise auf Distanz. Zum einen ließen ihn Armut und Schmutz des Landes nicht unberührt, er wunderte sich, dass das Land neben all dem Reichtum der frühen Hochkultur »aus einer Horde von Gaunern besteht, die sich wilder gebärden als Bayern«. Nicht in einem Schaffensrausch vor Ort, sondern erst im Nachhall zu Hause in Dessau konnte er die Eindrücke auf seine sublime Weise umsetzen. Klees Erlebnisse und Erinnerungen zeigen deshalb auch nie einen zwingenden, unmittelbaren Bezug, sie werden sozusagen im Nachhinein mit der längst entwickelten, ganz von der Maxime des Linearen ausgehenden Bildsprache synthetisiert. Ihm dienten alle Reisen eher dazu, Abstand zum Vertraut-Gewohnten zu gewinnen. Er nutzte sie lediglich zum Abgleich, zu einer wiederholten, neu inspirierten Präzisierung und Klärung der längst behutsam und organisch entwickelten ureigenen Bildsprache.

In seinen Lagen- und Schichtenbildern erfasste Klee die Lichtstimmungen und großflächigen Landschaftsformationen, den Übergang von Fruchtland und Wüste etwa oder die Würfelarchitektur der Lehmhaussiedlungen. Oft schichtet er in warmen chromatischen Stufungen, die an Sand, Erde, Wüstengebirgszüge und Bewässerungskanäle erinnern, unterschiedlich breite Streifen übereinander. Das heute zur Sammlung Ludwig in Köln gehörende »Hauptweg und Nebenwege« von 1929 ist das Ergebnis eines solchen Nachklangs. Aus rhythmisierten Lineaturen erhebt sich (etwa im 1932 entstandenen »Gradus ad Parnassum«) ein pyramidales Dreieck. Ein erneutes, vielleicht sogar noch deutlicheres Echo findet die Ägyptenreise dann noch einmal im Spätwerk der Dreißigerjahre, als Klee schwarze Balken und sperrige, an Runen erinnernde Zeichen mit einer persönlich entwickelten »Hieroglyphen«schrift - Boote, Schlangen, Fische, mit Chiffren der christlichen Symboltradition verbindet. Immer sucht er ein ganz eigenes Idiom, denn für ihn verhält sich Kunst grundsätzlich »zur Schöpfung gleichnishaft«.

Die in Kooperation mit den Staatlichen Museen Dresden entstandene Schau macht jetzt noch bis Januar in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Station. Insgesamt etwa 130 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, die im Zusammenhang ihrer Reisen entstanden sind, verdeutlichen die Faszination des Landes wie den Kontrast zwischen beiden Malern. Museen aus dem In- und Ausland wie renommierte private Sammlungen unterstützten großzügig die Ausstellung mit hochrangigen Leihgaben. Besonders erfreulich ist auch, wie historische Fotografien, Korrespondenz und andere private Dokumente die Präsentation ergänzen.

Gewinner dieser Ausstellung ist nicht einer der beiden Maler, die in einer Art Wettkampf gegeneinander antreten und nun aus der historischen Distanz prämiert würden; Gewinner ist vielmehr die Malerei selbst, die in ihren reichen, je eigenen Möglichkeiten zu Bewusstsein kommt. In der Verschiedenheit tritt das Eigentümliche umso leuchtender zu Tage. Das macht den Reiz der Ausstellung aus. Ausgesprochen gelungen ist deshalb auch die räumliche Inszenierung, welche die Individualität beider Künstler gleichermaßen respektiert: In der Düsseldorfer Kunsthalle hat man Klee ein kühles Blau-Grau als Farbhintergrund zugedacht, wohingegen Slevogts Farbrausch vor Wänden in einem Orange-Ton zu sehen ist, der an von Abendsonne durchglühten Wüstensand denken lässt. Blickachsen ergeben Bezüge, lassen aber zugleich beide Künstler in ihrer je eigenen Welt nebeneinander und im gleichen Maß berechtigt erscheinen.

Auch der Doppelkatalog des Sandstein-Verlags ist äußerst liebevoll, gediegen und großzügig gestaltet (und insofern erstaunlich preiswert). Bei aller Unterschiedlichkeit, eine schlichte Banderole aus Transparentpapier, auf welcher die Ortsnamen ihrer Route stehen, erlaubt es, das Inkommensurable zusammenzufügen. Das hat beinah etwas Rührendes.

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