Buchrezensionen

Norbert Wolf: Die Kunst des Salons. Malerei im 19. Jahrhundert, Prestel 2012

Gibt es eine Epoche der Kunst, die dem heutigen Kunstverständnis mehr widerspräche als die Kunst des Salons? Bei Namen wie Hans Makart schürzt der Fachmann verächtlich die Lippen. Trotzdem scheint es, dass der Salonmalerei nach Jahrzehnten der schroffen Ablehnung wieder Beachtung geschenkt wird, ja dass sie vielleicht sogar eine gewisse Wertschätzung erfährt. Norbert Wolf hat ihr einen glänzend geschriebenen, opulent bebilderten Prachtband gewidmet. Stefan Diebitz hat ihn gelesen.

Wie sehr sich die Salonkunst und das Selbstverständnis ihrer Protagonisten von heutiger Kunst unterscheiden, machen mehr als alles andere dokumentarische Aufnahmen der Ateliers der Malerfürsten deutlich. War das Atelier eines Caspar David Friedrich klein und erinnerte in seiner Kargheit an eine Mönchszelle, so demonstrierten die riesigen Räume, in denen die Malerfürsten einige Jahrzehnte später auf entsprechend großen Leinwänden wüteten, den Reichtum der Künstler ebenso wie ihren ziemlich unbescheidenen Anspruch; Malerfürst war wörtlich zu nehmen, sie fühlten sich so, wie man sie nannte. Wolf schreibt, wenn er die Selbstdarstellung der Künstler wie das Geltungsbedürfnis ihrer Kunden thematisiert, von »einer teilweise maßlosen Repräsentationsattitüde«. Und nicht allein die Ateliers waren prachtvoll, sondern viele der großen Stars ließen sich regelrechte Palazzi errichten. Als Malerfürst wohnte man nicht, man residierte.

Aber es war Hans Makart, der allem die Krone aufsetzte. Sein Künstleratelier sprengte alle Maßstäbe, »denn dieses Arbeits- und museale Schauinterieur, angefüllt, ja überfüllt mit Kunstwerken und Luxusgegenständen aller Art, ein Environment im Sinne eines barocken Prunkstilllebens oder einer manieristischen Kunst- und Wunderkammer, in dem der horror vacui als optischer Augenschmaus arrangiert wurde, war zu besichtigen.« Und man zahlte nicht zu wenig. Es ist nicht zuletzt diese schnöde Geschäftemacherei im Verein mit dem Anspruch, als Genie angebetet zu werden, die uns heute suspekt ist.

Ein anderer Aspekt ist die Virtuosität dieser Maler, die dank einer anspruchsvollen und langen Akademieausbildung enorm viel konnten und mit ihrem Handwerk uns noch heute imponieren – heute, da bloße Fingerfertigkeit eher scheel angesehen und jedenfalls kaum gesucht wird. Aber fast alle Künstler, die der Band Norbert Wolfs vorstellt, waren große Könner, die ihre Virtuosität nur zu gern auch demonstrierten, wenn sie etwa dramatisch verkürzte Körper malten oder Massenszenen auf einigen Quadratmetern verteilten. Auch mit den oft riesigen Flächen ihrer Gemälde musste man ja erst einmal umzugehen lernen.

Natürlich ging die Salonkunst von Paris aus, wo jährlich der Salon stattfand, den nicht zuletzt Emile Zola regelmäßig besprach – bis heute sind seine Kritiken eine wichtige und auch von Wolf viel zitierte Quelle. In dem Pariser Salon stellten Maler aus, die für den freien Markt produzierten – und eben dies prägte ihre Kunst mehr als alles andere. So musste es eine in ihrem Ursprung bürgerliche Kunst sein, die sich allerdings ganz gern einen fürstlichen Anstrich gab, und sie sollte (oder musste gar) für Aufsehen sorgen – daran waren beide Seiten interessiert, der Künstler wie der häufig geltungssüchtige Käufer.

Besonders die ganz großen Bilder – in vielen Fällen weit mehr als golden gerahmte Schinken, die man über das Sofa hängen konnte, sondern Gemälde von fantastischen Dimensionen, die allein in Hallen vorgeführt werden konnten – wurden in ganz Europa ausgestellt und übten eine Funktion aus, die der Autor wieder und wieder mit dem Kino vergleicht. Das ist naheliegend und auch deshalb überzeugend, weil es sich nicht allein an den oft exotischen Sujets festmachen lässt – etwa dem Orient –, sondern auch an der Funktion der Bilder, welche Fantasiewelten vorstellten und damit, so Wolf, »die Effizienz moderner Medien« antizipierten.

Die Beschäftigung mit der Salonmalerei kann im Kontrast zeigen, wie anders Kunst sein kann als das, was wir heute sehen und erleben und als selbstverständlich hinnehmen; und sie demonstriert auch, welche Bedeutung bildende Kunst einmal für breite Bevölkerungsschichten besaß und welchen Einfluss sie ausübte. Norbert Wolf kommt das Verdienst zu, diese für uns fremde und doch merkwürdig bekannte Kunst in einer höchst differenzierten und ganz unideologischen Weise in all ihren Aspekten vorzustellen.

Gleich eingangs beschäftigt er sich mit ihrem Begriff, aber sie zu definieren, ist nicht ganz einfach – »Salonkunst« ist ein ziemlich vager Begriff. Am Beispiel von Franz von Lenbach deutet Wolf an, wie »schwer es fällt, den Begriff Salonmalerei beziehungsweise die Vorstellung von akademischem Mainstream präzise gegen andere, parallele Strömungen zu konturieren«. So finden sich ebenso realistische wie impressionistische Bilder in diesem Buch, und besprochen werden auch zwei Werke von Manet.

Natürlich steht Frankreich im Mittelpunkt des Buches, denn alles ging vom Pariser Salon aus, aber es werden auch die meisten anderen europäischen Länder vorgestellt, dazu mit einigen besonders eindrucksvollen Bildern die großen Russen, unter denen natürlich Ilja Repin hervorsticht, und die US-amerikanische »Hudson River School« mit ihrem Protagonisten Frederic Edwin Church (1826–1900), dessen wunderbare, großformatige Landschaftsbilder für uns heute nahe am Kitsch vorbeischrammen – und trotzdem ihre Wirkung nicht verfehlen. »Die Landschaftsmalerei«, erklärt Wolf dazu, wurde in den USA »als tonangebend eingestuft, weil in ihr die amerikanischen Künstler ihr Bestes leisteten und weil in jener Gattung die Ideologisierung als Gottes auserwähltes Land unmissverständlich zum Ausdruck kam.« Eines dieser geradezu sagenhaften, selbst im (allerdings doppelseitigen) Abdruck extrem beeindruckenden Bilder ist eine Berglandschaft von Albert Bierstadt, das sich im Brooklyn Museum of Art in New York befindet.

Die Maler jener Jahre liebten den Akt – der Pariser Salon von 1863 wurde von den Zeitgenossen sogar als »Boudoir-Erotik« klassifiziert –, aber vielen dieser nackten Frauen fehlt jede Individualität; besonders Makart, so bewundernswert er sonst auch zu malen wusste, versagte in diesem Punkt ganz. Seine Bilder bieten nur idealisierte und entsprechend langweilige Gestalten. Alexandre Cabanels »Die Geburt der Venus« aus dem Boudoir-Salon ist ein anderes Beispiel für diese Form der Erotik, die von der zeitgenössischen Kritik (aber natürlich nicht von Zola) als ein Manifest der neuen Kunst beurteilt wurde, wie Wolf zu berichten weiß.

Aber Edouard Manets berühmte »Olympia« ist auch in diesem Jahr gemalt, wenngleich sie erst im Salon von 1865 ausgestellt wurde, und »Manet war, was seine Ausstellungspraxis betrifft, ebenso ein Salonmaler wie Cabanel oder Glaize.« Hier wie auch sonst urteilt Norbert Wolf abwägend und gerecht: »Wenn man das Wort Salonmaler gebraucht, gilt es zu differenzieren. Im Kontext des Ausstellungswesens waren die meisten Maler Salonmaler (übrigens nicht nur in Frankreich), hinsichtlich der künstlerischen Leistung gab es solche und solche, gute, weniger gute, schlechte.« Ein Merkmal der Salonkunst ist in jedem Fall der Mangel an Humor. Wolfs letztes Wort, unmittelbar vor dem Nachwort, spricht eben diese Humorlosigkeit an. Der »Verzicht auf Ironie, gar auf visionellen Skeptizismus scheint mir überhaupt charakteristisch für das Gros der Salonmalerei«.

Resümee: Das Buch ist glänzend geschrieben, die Lektüre ein entsprechendes Vergnügen, und es ist opulent bebildert. Der leuchtende Kunststoffeinband imitiert in ironischer Weise den Plüsch jener Jahre. Ein höchst empfehlenswerter Band!

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