Patrick Rössler/Elizabeth Otto: Frauen am Bauhaus. Verlag Knesebeck

Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer – man kennt die Größen des Bauhauses. Aber wie bekannt sind die Künstlerinnen, die das Bauhaus ebenso prägten? Warum sind die genialen Schöpferinnen wie Friedl Dicker-Brandeis und Gunta Stölzl nur Kunsthistorikern:innen bekannt, die sich speziell mit dem Bauhaus auseinandersetzen? Die Autor:innen Patrick Rössler und Elizabeth Otto stellen in ihrem aktuellen Katalog diese brisante Frage. Denn ohne die Frauen wäre der Geist des Bauhauses nicht in jener Strahlkraft der Nachwelt erhalten geblieben. Melanie Obraz folgte den Leuchtspuren dieser bemerkenswerten Protagonistinnen.

Cover © Verlag Knesebeck
Cover © Verlag Knesebeck

Die Zeit war also (noch) nicht reif, um diese genialen Interpretinnen einer Kunst auch als Künstlerinnen zu sehen? Sind nicht die Absichten des Bauhaus revolutionär? Wie selbstverständlich will man die Welt umgestalten und alles in ein neues Design übersetzen und so fühlen sich Frauen von jenen Ideen angesprochen. Mehr noch, sie sehen sich als Meisterinnen einer neuen Kunst. Warum nennen wir im 21. Jahrhundert nicht Friedl Dicker-Brandeis, die 1944 in Auschwitz ermordet wird und die mit ihren Ideen in den USA zur Grundlage einer ganz neuen und bis heute erfolgreichen Behandlungsmethode, der Kunst-Therapie, avanciert, oder Gunta Stölzl und Lucia Moholy, die ein Leben lang im Schatten ihres Ehemannes László Moholy-Nagy steht?! Warum bleibt es bei der fehlenden Anerkennung der Frauen? Demgegenüber sind die Herren des Bauhauses wohlbekannt. Den Frauen bleibt der Kampf um die stets vorenthaltene Anerkennung.

Meist ist „lediglich“ von Kunstgewerbe die Rede, wenn es um die Frauen am Bauhaus geht. Oft „landeten“ die Künstlerinnen, die Architektur, Bildhauerei und/oder Malerei studieren wollten, in der Weberei der revolutionären Bildungsstätte. Obwohl die meisten von ihnen davon wenig begeistert sind, zeigt sich, wie sehr die Künstlerinnen jene Nische nutzen, um sich in ihrer spezifischen Ausdruckskraft zu profilieren. Neue Materialien und Muster werden in bahnbrechende aufregende Designs verwandelt, begeistern als Vorhänge, Decken und vieles mehr eine Käuferschicht und bescheren dem Bauhaus finanziellen Erfolg. Dennoch: Einen sicheren Platz ermöglicht dieses Einkommen den Künstlerinnen nicht, sondern zeigt ihnen vielmehr die Möglichkeit auszubrechen, um sich außerhalb des Staatlichen Bauhauses weiterzuentwickeln. Die Frauen gelten zwar als tüchtig, sympathisch und mütterlich, aber eben nicht als schöpferisch im Sinne der Genialität, die angeblich den Mann allein auszeichnet. Genie wird nur den Künstlern zuerkannt.

Margaret Leiteritz, Dienstagskurve, 1966, aus der Serie Gemalte Diagramme. © Heinrich P. Mühlmann, Nachlass Margaret Camilla Leiteritz
Margaret Leiteritz, Dienstagskurve, 1966, aus der Serie Gemalte Diagramme. © Heinrich P. Mühlmann, Nachlass Margaret Camilla Leiteritz

Selbst Walter Gropius ist von diesen Vorurteilen nicht frei und fördert die Frauen nicht unvoreingenommen. Sie müssen „höchst begabt, aber auch leidensfähig und duldsam sein“, um überhaupt ihr Kunstschaffen ausleben zu können. Damit kommt klar zum Ausdruck, dass die von Gropius propagierte absolute Gleichberechtigung in einem fragwürdigen Lippenbekenntnis mündet. Die Frau ist zwar im öffentlichen Leben sichtbarer, was allerdings nicht heißt, dass die moderne Idee der absoluten Gleichberechtigung, des neuen Zusammenlebens der Geschlechter am Bauhaus umgesetzt werden kann.

Andererseits folgt das Bauhaus nicht nur einer Idee, sondern einem Ideal. Es soll kein Unterschied mehr zwischen Kunst und Handwerk bestehen, Übergänge gestalten sich fließend. Vor allem wird damit das Kunsthandwerk aufgewertet, um dennoch vor der Idee einer genialen Kunstschöpfung durch die Frau zu kapitulieren. Darin mag ein Grund bestehen, warum es nur wenige Frauen schaffen, als Künstlerinnen – und eben nicht nur als (Kunst-)Handwerkerinnen ernst genommen zu werden.
Jedoch muss man eingestehen, dass es sich um ein Vakuum handelt, welches auf eine Ambivalenz deutet, die auch Gropius (eigentlich) verfolgt: Denn er sieht das weibliche Talent im Aufwind und bemerkt das herausragende Können einer Friedl Dicker-Brandeis und bekundet, ihre Arbeiten seien „das Beste des Instituts“. Dabei sind Kompromisslosigkeit wie das Experimentieren die Kennzeichen der Künstlerinnen. Dennoch soll der Frauenanteil am Bauhaus 1920 nicht mehr als 1/3 betragen. Avantgardistisch sind die Männer am Bauhaus also nur soweit es um ihre eigenen Arbeiten geht. Bezeichnend ist, dass Gropius dem allgemeinen Vorurteil folgt, Frauen seien für die Schöpfung großer Kunst nicht geeignet. Eine Meinung die damals (leider) auch Wassily Kandinsky teilt, der - nach dem Weggang Johannes Ittens - als stellvertretender Direktor zu den wirkungsmächtigsten Bauhaus-Meistern zählt.

Friedl Dicker, Kindergesicht, 1944, Aquarell auf Papier, entstanden im Konzentrationslager Theresienstadt. © Beit Terezin Museum, Kibbutz, Givat Haim Ichud
Friedl Dicker, Kindergesicht, 1944, Aquarell auf Papier, entstanden im Konzentrationslager Theresienstadt. © Beit Terezin Museum, Kibbutz, Givat Haim Ichud

Die Künstlerinnen sollen nicht als „das“ Aushängeschild am Bauhaus sichtbar sein. Doch einige widersetzen sich und verfolgen ihren eigenen Weg. Die Autor:innen Patrick Rössler und Elizabeth Otto porträtieren daher in ihrem aktuellen Buch 45 Künstlerinnen. Eine Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, denn es geht ihnen weniger um ein who is who der Künstlerinnen am Bauhaus, sondern mehr um ein essentielles Verständnis weiblicher Kunst und Kunstanschauung im Fokus der beachtenswerten Betrachtung über Bauhauskünstlerinnen. Der vielbeschworene neue Geist des Bauhauses durchweht gleichsam die Seiten des Buches und stellt die Widersprüche heraus, mit welchen die weiblichen Kunstschaffenden konfrontiert sind.

Fest steht, dass die hier vorgestellten Künstlerinnen als herausragende Persönlichkeiten, sich ihrer spezifischen Genialität bewusst sind und diese auch vehement zum Ausdruck bringen. Als Beispiel sei nochmals Friedl Dicker-Brandeis genannt, aber ebenso Ré Soupault, die auch als Fotografin und Designerin tätig ist, oder Ricarda Schwerin (geb. Meltzer), die begehrtes Holzspielzeug für Kinder entwirft und so die Bandbreite der weiblichen Bauhauskünstlerinnen um eine bedeutende Facette erweitert. Klar wird dabei, dass sich die Bauhausfrauen in keine Nische flüchten, sondern den steinigen Weg, des vom Genius inspirierten Schaffens konsequent vorantreiben. Ihnen gelingt es, die Beziehung zwischen dem Leben und der Kunst zu verdeutlichen und den schmalen Grat zwischen anvisierter hoher Kunst und deren Alltagstauglichkeit zu vollenden. Damit zeigen sich die Künstlerinnen auch der breiten Öffentlichkeit verbunden und übersetzen ihre Kunst im Schnittpunkt zwischen Genie und Handwerk.
Im Besonderen gehört Marianne Brandt (geb. Liebe) zu jenen Künstlerinnen, die zwischen Kunsthandwerk und „hoher Kunst“ vermitteln. Schon 1929 weist sie darauf hin, das Bauhaus sei nicht nur eine Stilrichtung, sondern eine „Methode, um schlichtweg die besten Formen zu schaffen.“ Dies beweist das von ihr geschaffene Tee-Extraktionskännchen, welches „für lange Zeit den höchsten Auktionspreis für ein Bauhaus-Objekt erzielt“.

Irene Bayer, Bauhaus-Gebäude. Innenansicht, ca. 1927. © Bauhaus-Archiv Berlin
Irene Bayer, Bauhaus-Gebäude. Innenansicht, ca. 1927. © Bauhaus-Archiv Berlin

Das Buch beweist einmal mehr, dass den Frauen am Bauhaus der Erfolgsweg keinesfalls geebnet wurde. Darüber hinaus unterstreicht die Publikation mit Vehemenz, dass die Skepsis gegenüber der Frau als einer genialen Kunstschaffenden am fortschrittlichen Staatlichen Bauhaus überwiegte, und festgefahrene Rollenbilder weiter gelebt wurden. Spannend ist aber vor allem, mit welch intensiver Kreativität sich die Frauen aus diesem Rollenverständnis zu befreien wussten um schließlich den ihnen angestammten Platz als „Pionierinnen der Moderne“ einzunehmen.

Titel: Frauen am Bauhaus
Originaltitel: Bauhaus women
Autor:innen: Patrick Rössler & Elizabeth Otto:
Übersetzt von: Birgit van der Avoort
Verlag: Knesebeck
192 Seiten
ISBN: 978-3-95728-230-9

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