Der Titel des Buches klingt vielversprechend, kündigt er doch die Auseinandersetzung mit der Rezeption des Bauhauses bis heute an.
Ein wenig enttäuscht wird man allerdings bei der Einführung von Philipp Oswalt, der auch der Herausgeber ist: Verallgemeinerung und Verballhornungen bestimmen die ersten Seiten. So sei das Bauhaus überhaupt ausschließlich von rechten Gruppierungen angegriffen worden, was die Attacken aus dem konservativem Lager in Weimar und Dessau völlig außer Acht lässt. Unsauber herausgearbeitet ist auch der Entstehungsgrund des Bauhauses: Nicht nur der überholte Historismus führte zum Bauhaus, sondern auch der soziale Aspekt gut für wenig Geld zu wohnen, als Gegensatz zur Mietskaserne im Wilhelminischen Zeitalter. Am besten man überspringt daher die Einführung und geht zu den folgenden fünfzehn Beiträgen über, die das Ziel des Buches, nämlich die Streitbarkeit des Bauhauses aufzuzeigen, bestens dokumentieren.
Der erste Beitrag von Justus Ulbricht verortet das Bauhaus im zeitgenössischen Kontext — dies geschieht unter den Gesichtspunkten des «Kunstnationalismus» in Weimar in den Jahren 1919 bis 1925, über «Wohn- und Sitzmaschinen» der Dessauer Zeit hin zum modernen «Sozialmythos» der BRD und DDR. Soweit die äußeren Kontroversen. Im nächsten Abschnitt von Kai-Uwe Hemken werden die extremen künstlerischen Positionen von Theo van Doesburg und Johannes Itten gegenübergestellt. Hier trifft in den ersten Jahren des Bauhauses ein gestalterisches Regelwerk auf mystischen Sensualismus. Im Anschluss thematisiert Michael Müller die Bauhauskritik von links ― allen voran durch Theodor Adorno, Walter Benjamin und Ernst Bloch. Positive Kritik am Bauhaus besteht, laut Adorno und Bloch, darin, dass das Bauhaus keine Stilkopien mehr liefert, und kein Scheinindividualismus mehr erzeugt wird. Negativ äußern sie sich allerdings über den architektonischen Rationalismus der Bauhausprodukte und
-bauten. Durch die rein zweckmäßige Gestaltung der Dinge verkümmere der neue Menschentypus, da keine Möglichkeiten einer freien Benutzung mehr bestehen würden und keine Erfahrungen gesammelt werden können. Die Bauten lassen den Menschen und dessen Individualität außen vor, sind bloße «Wohnmaschinen». Bloch klagt sogar, dass «seit über einer Generation […] dieses Stahlmöbel-, Betonkuben-, Flachdach-Wesen geschichtslos da[steht], hochmodern und langweilig, scheinbar kühn und echt trivial, voll Haß gegen die Floskel angeblich jeden Ornaments und doch mehr im Schema festgerannt als je eine Stilkopie im schlimmen neunzehnten Jahrhundert.»
Magdalena Droste beschreibt in ihrem Abschnitt den Streit zwischen Gropius und Meyer über die Fortführung des Bauhauses 1928. Leitfrage ist hierbei, was beide Leiter unter dem Konzept Bauhaus verstehen. Gropius verfolgt weiterhin das Ziel, dass alle bildnerische Tätigkeit im Bau zusammenläuft, während bei Meyer das Ziel aller Bauhausarbeit in der harmonischen Ausgestaltung unserer Gesellschaft mündet. So wirft Meyer Gropius vor, das Bauhaus in einem «Stilkorsett» gefangen zu halten, was jener gleich als «Zwangsvorstellung Meyers» abtut. Deutlich wird hier der Hoheitsanspruch Bauhaus = Gropius.
Joachim Krausse stellt nun fest, dass vor der Emigration der Bauhäusler in die USA dort bereits der Funktionalismus existierte ― schließlich wurde der Grundsatz «form follows function» vom amerikanischen Architekten Louis Sullivan 1896 formuliert. R. Buckminster Fuller, Architekt und Schriftsteller, merkt daher an, dass das Bauhaus den funktionalistischen Stil nicht neu in die Vereinigten Staaten gebracht hat, sondern von diesem inspiriert wurde. Nach der Emigration der Bauhäusler und im Zuge des Kalten Krieges wurden der „authentische“ amerikanische Funktionalismus und das, was das Bauhaus daraus gemacht hatte, zum Internationalen Stil erklärt.
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Sinnvoll schließt an diesem Punkt die Rezeption des Bauhauses nach 1945 an, die auch etwa zwei Drittel des Buches ausmacht. Simone Hain erörtert in ihrem Beitrag, warum ein Fortleben der Dresdner bauschule unter Mart Stam nicht funktionierte, obwohl die soziale Dimension des Bauhauses (Schüler und Lehrer sind ein kollektiver schöpferischer Geist) schon vor dem Krieg die Kommunisten begeistert hatte. Die USA und die UdSSR waren, so Hain, zur „Stunde Null“ 1945 besorgt um die Hegemonie in Deutschland und standen daher der Bauhaus-Avantgarde ablehnend gegenüber. Den Kern des Abschnitts von Thilo Hilpert bildet die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm, sowie die Formalismusdebatte 1956 anhand der Architekten Schwarz und Eiermann. Was sollte unter „Funktionalismus“ verstanden werden? In den USA war es, laut Stirling, die Anpassung eines Gebäudes an industrielle Prozesse und Produkte, in Europa hingegen der Entwurf für einen speziellen Gebrauch, z.B. Wohn- oder Industriebau.
Etwas abseits stehen in diesem größeren Abschnitt die Beiträge von Jörn Etzold und Otl Aicher. Sie gehen der Frage nach wie sich das Bauhaus be- oder vererben lässt. Nach Walter Benjamin hat die Verwendung von Glas und Stahl in Räumen der Moderne das Hinterlassen von Spuren erschwert, was das Auffinden der Grundlagen des Bauhauses und dessen Erbe stört. Verdeutlicht wird dies an den Positionen von Max Bill, Leiter der HfG Ulm und Asger Jorn, Surrealist der Gruppe CoBrA. Für Jorn war das Bauhaus eine künstlerische Inspiration wie eine Religion. Bill hatte in Ulm hingegen die formalen Gestaltungsprinzipien des Bauhauses vor Augen. Otl Aicher, Mitbegründer der HfG Ulm, betrachtet den Sachverhalt aus einer phänomenologischen Perspektive. Er will von den Sachen, Produkten, Alltag selbst hin zu einer Zivilisationsarbeit bzw. -kultur. Demnach ist das Bauhaus nicht mehr der Inhalt, sondern nur Label bzw. Aufmachung. Die HfG hat sich, entgegen anderer Meinungen, nicht als zweites Bauhaus verstanden, sondern als bewusstes Absetzen von diesem: Form = Form der Aussage. Design sollte seine Resultate aus dem Objekt entwickeln, nicht im Rahmen der bildenden Kunst.
In Zusammenhang mit dem Beitrag von Simone Hain steht der Abschnitt «Das Bauhaus als Waffe im Kalten Krieg» von Paul Betts. Er thematisiert zum Einen das Bauhaus als Mittel zur West- bzw. Ostintegration der BRD und DDR, zum Anderen die Bauhaus-Moderne als kulturelles Kapital und Maß für kulturellen Fortschritt im Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der UdSSR. Der Zusammenbruch der transatlantischen Bauhauslegende Ende der 1970er Jahre verlief daher parallel zur Lockerung der Beziehung zwischen den USA und Westdeutschland.
Bezeichnenderweise folgt nun ein Kapitel, das den Blick der 68er auf das Bauhaus behandelt. Dieter Hoffmann-Axthelm steht dabei beispielhaft für den eben besprochenen Niedergang der Bauhauslegende, der in dieser Zeit stattfand. Für die 68er war das Bauhaus «Gymnasialwissen» und ein «Trittstein der Elterngeneration». Zur politischen Meinungsbildung der Zeit war es nicht notwendig. Es erfuhr eine Entpolitisierung, während die Gedanken zur formalen Gestaltung jedoch weiterhin Architekten, Bauingenieure, Produkt-/Grafikdesigner etc. beeinflussten.
Eine Entpolitisierung erlebte das Bauhaus auch in der DDR. 1951 für Walter Ulbricht noch eine «volksfeindliche Erscheinung», war die Regierung 1956 doch bereit, das Bauhaus in den Wertekanon der DDR zu integrieren, da die Möglichkeiten des sozialen und ökonomischen Bauens überzeugten, wie Wolgang Thöner herausstellt.
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Eine andere Rezeption des Bauhauses stellt Ullrich Schwarz vor. Dieser bespricht die Reaktionen auf das Buch «Mit dem Bauhaus leben» (1981) von Tom Wolfe. Der Journalist, Kunst- und Architekturkritiker greift darin in einem polemischen, sarkastischen Ton die kritiklose Übernahme europäischer Architektur in den USA an. Diese habe seiner Meinung nach zu monströsen, unfunktionalen wie gesichtslosen Bauten geführt, die eine kleine Kaste von Architekten den Auftraggebern wie dem Volk aufgezwungen hätte. Erstaunlicherweise blieb das Buch in Fachkreisen wenig beachtet, bei der breiten Bevölkerung hingegen kam es gut an. Schwarz sieht die Ursache hierfür darin, dass Wolfes Buch inhaltlich nicht neu und der postmodernen Architekturdebatte eher hilflos gegenübersteht. Alexander Mitscherlich hatte mit «Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Anstiftung zum Unfrieden» in den USA schon 1961 auf das Desaster des modernen Städtebaus aufmerksam gemacht. Somit bleibt Wolfes Buch eine sicherlich aufregende, unterhaltsame Lektüre, jedoch nicht mehr.
Dem Problem der Re-Editionen und Plagiate von Bauhausprodukten widmet sich Gerda Breuer. 1982 wurde der «Wassily-Sessel» von Marcel Breuer urheberrechtlich geschützt, wie das bei Kunstwerken üblich ist. Gleiches geschah mit Le Corbusiers Liege «LC4» 1993. Dies widerspricht der Intention der Bauhäusler, wonach «Metallmöbel nichts weiter [sein sollen] als notwendige Apparate heutigen Lebens» (Le Corbusier). Die Reproduktion von Bauhaus-Möbeln durch Firmen wie Gavina und Cassina geschah jedoch mit Modifikationen: Durch die Vergabe von Namen wie «Algo», «Black» oder «Valentine» erhielten die Möbel eine Persönlichkeit. So wurde das industrielle Massenprodukt zum Designobjekt. Die Aura der Modernität des Maschinenzeitalters samt ihren gesellschaftlichen Versprechen umgibt noch heute diese Designklassiker und macht sie so auch zu Kulturobjekten.
Dass die Debatte um das Bauhaus auch 2009 noch nicht beendet ist, stellt Walter Prigge im letzten Abschnitt des Buches anhand der Kontroverse hinsichtlich der Nachbauten der Meisterhäuser von Gropius und Moholy-Nagy in Dessau heraus. Wie soll man mit dem Bauhauserbe umgehen? In den Häusern von Muche und Schlemmer wurden Umbauten aus der NS-Zeit nicht getilgt, so dass Architekturgeschichte erfahrbar wird. In den Häusern von Feininger, Klee und Kandinsky wurde dagegen der Zustand von 1926 wiederhergestellt, so dass hier ein Museumscharakter erreicht wird. Das Konzept für die Meisterhäuser von Gropius und Moholy-Nagy sah zunächst einen Wettbewerb vor, in dem Architekten ihre Ansichten zum Bauhaus einarbeiten sollten. Denkmalpfleger kritisierten dieses Vorgehen heftig, da sie für eine Rekonstruktion, nicht einen Neubau waren. Es siegte schließlich die touristische Strategie, die die Häuser als historische Monumente erscheinen lassen wird. Es steht jedoch die Frage, wie auch in Zukunft mit dem Erbe des Bauhauses umgegangen werden soll, weiterhin im Raum: Ist das Bauhaus ein vergangenes Objekt, das in ein Museum gehört oder ist das Bauhaus ein Gedankengut mit produktiver Zukunft?
Das Buch besticht durch die auf dreizehn bis fünfzehn Seiten angelegten Beiträge, die das Verständnis des Bauhauses in einer prägnanten Form wiedergeben. Die Texte lesen sich gut, sind jedoch im Falle von Michael Müller, Jörn Etzold und Otl Aicher nur schwer ohne philosophische Kenntnisse zu Platon, Theodor Adorno und Phänomenologie zu begreifen. Das Hin- und Herspringen zwischen den Vorstellungen von Schwarz, Eiermann und Wachsmann hinsichtlich der Formalismusdebatte von 1956 erschwert ebenso den Zugang zum Beitrag von Thilo Hilpert, da oft nicht klar wird, wer was gesagt hat. Ein weiterer Punkt, der negativ auffällt, sind die schlechten Fotografien vor jedem Kapitel, die in dieses einleiten sollen. Zu einer abwechslungsreichen Lektüre trägt allerdings die versetzte Platzierung von sich inhaltlich ergänzenden Beiträgen bei. Das abschließende Kapitel von Walter Prigge kann als Eröffnung zu einer Diskussion über die Zukunft des Bauhauses ebenso wie als Zusammenfassung der Rezeptionsgeschichte verstanden werden.