Lange Zeit war der kunstinteressierte Reisende in den Städten des Südens sicher an einem zentralen Utensil zu erkennen, ihm diente entweder der blau-rote Baedecker, oder der gelbe Marco-Polo Reiseführer als Mittel zum Auffinden antiker Schätze und Orte. Nach dem Ende der Prädominanz des klassisch gebildeten Kulturreisenden wurden verstärkt die blauen Bände der Lonely-Planet-Serie in den Händen und Rucksäcken der jungen Individualreisenden sichtbar, sie sorgten vor allem für die Popularisierung und die Demokratisierung des Reisens, das nunmehr eher als Selbstzweck hedonistischen Zielen untergeordnet wurde. Eins jedoch haben beide Formen der Reiseliteratur gemein: sie sind als Reiseführer eindeutig identifizierbar und weisen den Besitzer direkt als Touristen aus. In den letzten Jahren erscheinen vermehrt Audio-Hörführer, angeregt durch Vorbilder im Museums- und Ausstellungsbereich, die auf den Abspielgeräten einen bequemen Zugang zu Kunst und Kultur offerieren. Unser Autor Jan Hillgärtner hat sich von seinem MP3-Player geführt auf eine Stadtbesichtigung Weimars begeben und berichtet von seinen Erfahrungen.
Um bei einem technischen Medium mit den »technischen Daten« selbst zu beginnen: der Guide »Weimar. Ein kunsthistorischer Audiostadtführer« aus dem HistOHRia Verlag informiert den hörenden Reisenden in insgesamt 18 Kapiteln mit jeweils ca. 3 – 6 Minuten Laufzeit in guter Tonqualität über die Schwerpunkte der Baugeschichte der Stadt Weimar zwischen dem Wittumspalais, dem Schloss Belvedere und dem Neuen Museum. Jedes Kapitel wird mit einer deutlichen, auf die Dauer jedoch eintönigen Stimme von den Sprechern Marcus Boshkow und Anne Schramm vorgetragen und gibt, nachdem dem Hörer der Ort des besten Standpunkts mitgeteilt wurde, die wichtigsten Informationen über ein Bauwerk, seine Funktion, Geschichte und eine historische Einordnung wieder. Anhand dieser für jeden Führer, sei er nun digital, gedruckt oder in menschlicher Form präsent, zentralen Kriterien für eine fundierte Besichtigung lässt sich die Zielgruppe des Audio-Guides bestimmen. Setzt die Einleitung mit der Erkenntnis ein, Weimar bestehe aus mehr als nur Goethe und Schiller und wird im Kapitel zur Bauhaus-Universität in groben Zügen die Geschichte der Institution referiert, wird durch den Umfang dieser Kriterien deutlich, dass sich der Führer an ein breites Publikum richtet. Der fast komplette Verzicht auf Fremd- und Fachwörter – im seltenen Falle der Nennung werden sie direkt erklärt – macht diesen Führer zu einer soliden Grundlage für jeden Weimar-Besucher, der sich ein erstes Bild der Stadt machen will.
In den kurzweiligen Kapiteln werden die wichtigsten Stationen der Stadt abgehandelt, ein kluger Aufbau des Führers und leicht verständliche Wegbeschreibungen ermöglichen das schnelle Auffinden der jeweiligen Objekte und die verschiedentlich eingestreuten Musikstücke sorgen dafür, dass der Weg dazwischen nicht zu lang wird. Leider wird zum Ende mancher Kapitel auf einen beiliegenden Stadtplan verwiesen, der im Downloadpaket des Verlages nicht inbegriffen war. Dies schmälert dennoch nicht die Qualität des Guides, zumal kleine Stadtpläne in jeder touristisch erschlossenen Stadt schnell zur Hand sind. Jedoch ist dies ein Indiz für die dürftige Ausstattung des Guides mit Begleitmaterial allgemein, neben den MP3-Dateien. In dem mit rund 76 MB großen und für jede Breitbandverbindung bequem von dem Audio-Führerportal pausanio.de zu meisternden Download findet sich nur eine Art Booklet, das leider keine den Audio-Guide erweiternden Informationen enthält.
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Was nicht unerwähnt bleiben darf, sind einige Anmerkungen bezüglich der Konzeption des Führers als Audio-Guide. Das ursprünglich aus dem Museumsbereich stammende Format hat sich aus diesem Gebiet emanzipiert und tritt seit kurzer Zeit auch als Führer für Städte und kulturhistorische Denkmäler hervor. In dieser Position befindet sich das neue Medium in Konkurrenz zum bereits etablierten Buch, in dessen Form Reiseberichte- und führungen bereits zum Gegenstand der akademischen Beschäftigung geworden sind. Wird der Inhalt des einen in das andere Medium übertragen, gilt es, die Grenzen und Möglichkeiten der jeweiligen Form auszunutzen und im gegebenen Fall für den Führer anzuwenden. So wie der Musikgenuss auf einem MP3-Player das Vergnügen eines Einzelnen ist, ist die digitale Stadterkundung auch auf Alleinreisende ausgelegt. Der Guide ist zwar in Kapitel aufgeteilt, zwischen denen man komfortabel navigieren kann, die Dramaturgie des Aufbaus legt jedoch das konsequente Abhören der Stationen nahe; lediglich die längeren Fußmärsche gilt es ohne auditive Begleitung zu überbrücken. Diese Form des Audio-Guides mag sich in Ausstellungen bereits etabliert und bewährt haben, in das Konzert der vielfältigen nebeneinander stattfindenden Sinneseindrücke und Reize, wie es bei jedem Gang durch eine Stadt erklingt, scheint er sich, der paraphrasierend den Inhalt eines gedruckten Reiseführers wiedergibt, noch nicht seinen Platz gefunden zu haben.
Die Auswahl der Gebäude, kommt dem populären und gerechtfertigtem Anspruch nach einem kompakten und zusammenfassendem Führer nach. Die in der Einleitung des Führers aufgestellte Behauptung, Weimar sei mehr als Goethe und Schiller, wird in einem solchen Führer jedoch mit der konstanten Erwähnung der beiden Dioskuren, sowie deren Dunstkreis um Anna Amalia, Herzog Karl August und dem goldenen Zeitalter Weimars wird in der Umsetzung nicht erfüllt. Umso mehr stechen die Beiträge um das Bauhaus, das Haus am Horn und das Gauforum, einem Bauprojekt der Nationalsozialisten hervor, die eine Seite Weimars beleuchten, die nicht bereits mit Schlagwörtern verknüpft in unseren Köpfen abgespeichert ist. Die Gegenwart und jüngere Vergangenheit der Weimarer Architektur bleibt dahingegen vollkommen unerwähnt. Als Zuhörer vermisst man zudem Auskünfte über Orte und Plätze in der Stadt, die im Zusammenhang mit der DDR stehen. Nicht zuletzt ist der ebenfalls mit Weimar und der deutschen Geschichte überhaupt verknüpfte Un-Ort Buchenwald komplett aus der Betrachtung herausgenommen. Sind diese Orte, die Zeugnisse zweier Diktaturen, von ihrer ästhetisch-kulturellen Bedeutung vielleicht weniger wichtig, ein Gesamtbild konstruieren diese Orte jedoch allemal. Trotz dieser verschiedenen Einschränkungen liefert der Hörführer alles, was man an grundständigen Informationen über eine fremde und kulturell reizvolle Stadt erfahren möchte. Audio-Guides lohnen sich für alle, die allein eine fremde Stadt auf eigene Faust erkunden möchten.
Den Download des Hörbuch-Titels finden Sie auf der Internetseite www.pausanio.de