Wie Bernini, so wollte auch Rubens durch eine sinnliche Kunst den Betrachter nach den Konfessionskriegen im 16. Jahrhundert zum rechten Glauben überreden. Der farbige Glanz seiner Malerei, ihre Wärme und Festlichkeit, aber auch ihr Furor und ihre Klage dienten dazu, so Sauerländer, die Menschen religiös und ethisch zu bewegen. Stefan Diebitz hat das gewinnbringende Buch mit Begeisterung gelesen.
Der Titel dieses Buches klingt nach einer Provokation für alle Ungläubigen und Protestanten, die es nach dem Papst-Besuch und sehr frommen Hamburger und Dresdner Ausstellungen doch schon schwer genug haben, aber tatsächlich handelt es sich um eine in ihrer Konzentration auf einen Aspekt neue, aufregende und sachlich absolut gerechtfertigte Sicht auf einen der bedeutendsten Maler des Abendlandes: Willibald Sauerländer, einem Altmeister der Kunstgeschichte, ist im hohen Alter noch einmal ein großer Wurf gelungen, ein frisches, konzentriertes und ungemein interessantes Buch über einen Malerfürsten, den wohl kaum einer von uns in seiner ganzen Breite zur Kenntnis genommen hat.
Wer es sich mit Willibald Sauerländer verderben will, der spricht über die »barocke Sinnlichkeit« oder die »barocken Leidenschaften« eines Peter Paul Rubens. Im Grunde hat dieses Buch kein anderes Ziel, als einer elenden Phrase das Wasser abzugraben und zu zeigen, dass Rubens unendlich viel mehr war als nur ein lebensfroher Maler üppiger Frauenschönheit. Vielmehr war dieser tiefgläubige Katholik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein bedeutender Agitator in Diensten der katholischen Reaktion und schuf eine große Menge von Bildern, die auch den sehr strengen Maßstäben einer höchst militanten und intoleranten Kirche entsprachen.
Rubens lebte in einer Zeit, in der eine aggressive, von Madrid aus gelenkte Gegenreformation die Spanischen Niederlande beherrschte, in Deutschland aber der Dreißigjährige Krieg die Bevölkerung in einem zuvor ungekannten Ausmaß zur Ader ließ. »Kein kunsthistorischer Jubel über das Barocke kann diesen düsteren geschichtlichen Hintergrund von Glaubensunterdrückung und Intoleranz, Feuer und Schwert vergessen machen. Dieses Gemälde [Sauerländer spricht über den »siegreich kämpfenden Erzengel Michael« in der Alten Pinakothek in München] hat etwas strahlend Triumphales, aber auch etwas Erschreckendes. Als Betrachter protestantischer Herkunft fahre ich bei seinem Anblick jedes Mal zurück.«
Man braucht sich nur, schreibt Sauerländer über den Propagandisten Rubens, »der Darstellung der Zungenmarter des Heiligen Livinus für die Jesuiten in Gent zu besinnen, um klar zu sehen, daß Rubens mit seinen erschreckenden Martyrienbildern ganz in diese grausam-schöne Vorstellungswelt einer kirchlichen Folterkammer im Dienste der Glaubensstärkung eingebunden war«. Diese Welt eines fanatischen Katholizismus mit ihrer bizarren Freude an Orgien der Grausamkeit ist dem Autor so fremd wie wohl den meisten von uns, und so kann man es ihm gar nicht hoch genug anrechnen, dass er trotzdem die vergessene und ausgeblendete religiöse Dimension des Rubenschen Werkes offen legt, sie kritisch beleuchtet und ihr in all ihren Zumutungen und Widersprüchen Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Gelegentlich spricht er die »Fremdheit zwischen uns und diesem kapitalen Werk von Rubens« an oder lässt durchblicken, dass ihm manche Bilder »an einzelnen Stellen ausgesprochen antipathisch« sind, aber das Ziel dieses Buches ist es nichtsdestotrotz, den vollen Sinn der zahlreichen Altarbilder des Meisters auszudeuten und zu entfalten. »Abermals«, so etwa schreibt er dann, »steht der Protestant erzitternd vor einem Bild der Ketzerbekämpfung, aber die Beweglichkeit von Rubens’ Malerei, sein phantasievolles, fast heiteres Spiel mit dem Tausch von Göttern, Heiligen und Teufeln schmilzt den Furor des Konfessionsstreites ein, löst ihn auf in die humane Erzählung vom Sieg des Schönen und Gesitteten über das Unförmige und Monströse.«
Dieser Passus wird auch deshalb so ausführlich zitiert, weil zum einen dabei deutlich wird, wie lebendig und gut zu lesen die Sprache Sauerländers ist, zum anderen, in welch beispielhafter Weise er seine Vorurteile und Vorbehalte überwindet und so zu einer Sicht findet, die Rubens wirklich gerecht wird. In sieben von acht Kapiteln behandelt er in teils chronologischer Folge, teils thematisch geordnet eine ganze Fülle von Bildern, die Rubens, der prominenteste Maler des katholischen Flandern, im Auftrag von Bischöfen, katholischen Fürsten oder Äbten gemalt hat. Aber diese sieben Kapitel haben ein Vor- und ein Nachspiel. Eingangs seines Buches interpretiert er in einem »Heidnisches Vorspiel« überschriebenen Kapitel den »Sterbenden Seneca« aus der Alten Pinakothek in München, weil es ihm auch darum geht, die Präsenz der heidnischen Antike in den religiösen Bildern von Rubens aufzuzeigen und auf die Muster des Leidens und Sterbens hinzuweisen, welche antike Mythologie (Laokoon) und (Geistes-) Geschichte (Seneca) bereitstellen. Immer wieder betont er dabei Rubens’ »stoisch und christlich geprägtes, beherrschtes Verhältnis zu den ‚barocken Leidenschaften’. «
Im Schlusskapitel, das den »Bethlehemitischen Kindermord« ausführlich behandelt, kulminiert alles Katholische in einer Weise, die mich eigentlich zurückzucken lässt. Besitzt diese Lust am Schrecken nicht pathologische Züge? Ist das Verlangen nach größtmöglicher Grausamkeit der Darstellung nicht voyeuristisch? Manche der Schergen gleichen eher Tieren oder einem antiken Faun als wirklichen Menschen. Aber die Darstellung des Kindermordes hat auch andere Seiten, denn das riesige Bild ist in sich geteilt, und die linke Hälfte zeigt zwar keinen Frieden, wohl aber eine weite, vom Abendlicht verklärte Landschaft, in deren Hintergrund sich das Grabmal der Rahel, also der Lieblingsfrau Jacobs, abzeichnet. »Das Grauen wird zu einem Fest der Malerei und der Frömmigkeit«, schreibt Sauerländer. Wie gesagt, uns ist die Welt sehr fremd.
Das Buch ist nicht allein wegen der schönen Ausstattung (es ist sogar in Leinen, nicht etwa in Pappe gebunden!), des hochwertigen Papiers und der vielen farbigen Abbildungen zu empfehlen, sondern auch dank seines frischen, lebendigen und flüssigen Stils, der wirklich nichts von einem Altersstil hat, höchst angenehm zu lesen. Es ist ein meisterliches Buch.