Buchrezensionen

Ernst Jünger: Subtile Jagden, Klett-Cotta 2017

Die Schönheit von Insekten, insbesondere von Käfern, und die Jagd auf sie feiert ein ganz einzigartiges Buch von Ernst Jünger, illustriert von dem großartigen Walter Linsenmaier. Stefan Diebitz stellt den schönen Band vor.

Was ist es, das Insekten so faszinierend für Künstler macht? Große Maler, die höhere Säugetiere darstellen, sind eher selten – die Menagerie von Jean-Baptiste Oudry ist in ihrer Art einzig –, und wenn überhaupt edle Tiere gemalt werden, dann sehr oft einzig und allein in Bezug auf Menschen: Rennpferde, Hunde und dergleichen. Die uns zoologisch nächsten Tiere, Affen, werden nur ganz selten gemalt, und häufig aus weltanschaulichen Gründen und deshalb stark vermenschlicht. Aber Insekten wurden und werden auffallend oft dargestellt, sehr gern auch von Künstlern der zweiten oder dritten Reihe. In vielen Fällen sind sie wohl einfach nur dekorativ – fast wie Blumen, denn die Individualität des einzelnen Tiers spielt überhaupt keine Rolle. Und es ist ja auch nicht weiter wichtig, ob sie noch am Leben sind: ein toter Käfer sieht kaum anders aus als ein lebendiger. Also, wenn ihre Schönheit auch eine des Lebendigen sein mag, dann aber doch eine andere Art des Lebendigen. Denn verhindert das feste Außenskelett nicht zuverlässig jede Form von Ausdruck? Wer Insekten anschaut, findet keine Emotionen. Auch schillern sie oft in metallischen Farben, die man sonst nirgendwo in der Natur findet.

Für Walter Linsenmaier, einen 1917 in Stuttgart geborenen Künstler, der bereits als Säugling in die Schweiz kam und zunächst als Zeichenlehrer arbeitete, wurden die Darstellung wie das Sammeln von Insekten Leidenschaft und Beruf zugleich, und seine großartigen Zeichnungen gehen in Qualität und Anspruch weit sowohl über das Dokumentarische als auch über das bloß Dekorative hinaus. Eine kluge Wahl, seine Werke als Illustrationen für die Erinnerungen des Käferenthusiasten Ernst Jünger auszuwählen! Jünger suchte und sammelte seit seinen Kindheitstagen Käfer, zunächst in seiner niedersächsischen Heimat, später in der ganzen Welt, und seine chronologisch ganz ungeordnete Autobiografie am Leitfaden dieser Leidenschaft ist ebenso originell wie poetisch. Die »Subtilen Jagden« – im Text wird das Adjektiv immer großgeschrieben – kann man in einer wunderschönen Neuausgabe eines illustrierten Buches von 1995 bewundern.

»Die bunten Bilder waren Köder«, berichtet Ernst Jünger gleich eingangs von einem Buch über Käfer (»Der Käferfreund«), das ihm als Jugendlichen geschenkt wurde und das entscheidend zu seiner Käferpassion beitrug. Aber auch für sein eigenes Buch könnten Bilder der Köder sein, denn abgesehen von einer sehr schönen Ausstattung mit einem geprägten Leineneinband und dem hochwertigen Papier sowie dem Vorsatz mit 41 kunstvoll, aber schwarzweiß gezeichneten Käfern sind die Bilder Walter Linsenmaiers ein wirklicher Genuss – hochwertige Buntstiftzeichnungen von Käfern und anderen Insekten aus der Hand eines Künstlers von Weltruf, der ganz ähnlich wie Jünger selbst ein bedeutender Sammler war. Zwar war er auf Goldwespen spezialisiert, von denen er 600 Arten entdeckte und beschrieb, aber er sammelte und zeichnete alle überhaupt nur möglichen Insekten. Dieses Buch enthält deshalb auf seinen zehn Farbtafeln nicht allein Käfer, sondern auch Schmetterlinge und einmal sogar eine Eidechse, ein farbig schillerndes, sich rasch bewegendes Tier, das in vielen Büchern Jüngers auftaucht. Und überhaupt berichtet der Autor keineswegs nur von seiner Käferleidenschaft, denn auch für Pilze hat er etwas übrig. Oder für Bücher! Auch sie hat er gejagt.

Ich glaube nicht, dass es überhaupt Fotografien gibt, die der fremden Schönheit der Käfer, besonders dem metallischen Schimmern ihrer Flügeldecken, aber auch ihren bizarren Geweihen und Mundwerkzeugen und weit geschwungenen Fühlern oder den filigranen, mit Dornen besetzten Beinen in derselben Weise gerecht werden wie die meisterhaften Zeichnungen dieses Bandes. Dabei scheint es, dass Linsenmaier seine Werke mit nichts als Farbstiften schuf. Und bei aller Präzision der Zeichnung ist es die Farbe, die für ihre Schönheit verantwortlich ist. Die Abbildungen zeigen die Tiere nicht in irgendeiner natürlichen oder künstlichen Umgebung, sondern meist auf einem leicht getönten Grund, als habe der Künstler sie vor sich auf einem Blatt Papier liegen oder als schwebten sie im Nichts. Wie in einem Schaukasten werden sie präsentiert, wenn der Künstler einen Zweig oder einen Stein hinzufügt. Besonders in der Frontansicht wirken die Käfer oft nicht allein schön, sondern auch grotesk – sie sind wirklich Aliens, Bewohner einer für uns ganz fremden Welt.

Wie Linsenmaier war Ernst Jünger ein Enthusiast, kein Wissenschaftler, jedenfalls kein Wissenschaftler der Moderne. Sein Heros war der schwedische Naturforscher und Begründer der binären Nomenklatur, Carl von Linné; selbst der von ihm eigentlich geschätzte Jean-Henri Fabre, der Begründer der Verhaltensforschung, geht für ihn zu weit, insofern er sich kaum mit der bloßen Beschreibung aufhält, sondern immer auf das Verhalten zielt. Jünger dagegen kommt es auf das Aussehen an, auf die Gestalt und noch mehr auf die Zeichnung der Flügel.

Gleich eingangs – im zweiten Absatz des ersten Kapitels – schreibt Jünger über seine Jugend: »Die eigentliche Naturkunde, das liebevolle Betrachten, Vergleichen, Ordnen und Beschreiben von Objekten, galt kaum noch als Wissenschaft. Dem Behagen an der Anschauung war der Genuß an der exakten, gezielten und messenden Beobachtung gefolgt.« Von diesem Bekenntnis zu einer schon damals kaum noch gepflegten Naturkunde ist in seinen »Subtilen Jagden« alles bestimmt, wirklich jedes Wort und jede Zeile, denn der Autor schildert die Insekten wie ihre Umgebung sehr präzise in einer gelegentlich preziösen Sprache, ja manchmal in einer fast schon lyrischen Weise. Auch geht er kaum auf das Verhalten der Käfer ein, vergisst aber nie die Natur als ihre Umgebung: »Doch ich sah auch den Pfad, auf dem er jagte, und zu beiden Seiten die Zistrosensträucher, die ihn wie Waldränder umfaßten.« An derartige, immer auffallend präzise Naturschilderungen mit den korrekten Pflanzennamen schließt sich dann die Beschreibung eines Tieres an, meist natürlich eines Käfers.

Alle seine Beschreibungen tragen trotz ihrer präzisen Sachlichkeit eine sehr subjektive Prägung, und dieses Faktum wird von ihm selbst angesprochen. Seine Perspektive, schreibt er, »ist unkopernikanisch; die Welt ist Kugel, das Auge Mittelpunkt.« Es ist immer das Auge, das im Zentrum steht, denn alles ist auf dieses Organ bezogen, und so ist es immer und auf jeden Fall eine optische Welterfahrung: Jünger war offensichtlich ein Augenmensch, jede Zeile dieses Buches kann das bezeugen. Unter anderem litt er an bestimmten Orten deshalb unter »Postkartenhorror« dank der »Überfütterung mit Sehenswürdigkeiten«: Die »Überflutung mit Bildern«, so beschreibt er sein Leiden, »bringt eine besondere Art von Schwindel, von nausée, von Seh-Krankheit hervor.« Und er fügt eine Bemerkung hinzu, die man gelegentlich anhand der Kunstgeschichte überprüfen sollte: »Es kommen Tage, an denen uns auch die Originale zuviel werden und abgetreten scheinen wie alte Teppiche. Daraus erklärt sich unter anderem, warum die Kunst nicht durch Verfeinerung, sondern durch Stilwechsel fortschreitet.«

Der Vergleich mit Jean-Henri Fabres »Erinnerungen eines Insektenforschers«, dessen deutsche Übersetzung seit einigen Jahren im Galiani-Verlag erscheint (geplant sind zehn Bände), liegt vielleicht nicht ganz fern. Dieses Werk, das mehrfach von Jünger angesprochen wird und ihm vielleicht sogar als Vorbild diente, ist wie Jüngers Buch eine ganz einzigartige Mischung aus Naturbeobachtung und Lebensgeschichte, denn Fabre vergisst nicht, seine Familie anzusprechen, seinen Hund oder die Jungs aus dem Dorf, die für ihn Insekten sammelten. Die jetzige, auf zehn Bände geplante deutsche Übersetzung ist illustriert, und zwar sehr gekonnt von den Zeichnungen Christian Thanhäusers.

Fabre beginnt zwar im ersten Band mit den Skarabäus, also mit Käfern, und spricht auch andere Insekten an, konzentriert sich aber dann vor allem auf die Aktivitäten der Wespen, ihr instinktgesteuertes Jagd- und Brutverhalten, das größtenteils von ihm selbst allererst erforscht worden war. Entsprechend geben die Striche der nervösen Zeichnungen Thanhäusers die Dynamik des Geschehens wieder und spiegeln die Bewegungen der Wespen, weniger ihre Gestalt; und farbig sind sie auch nicht. Dagegen haben Jünger und Linsenmaier vor allem Gestalt und Farbigkeit der Käfer im Auge. Von Bewegung keine Spur! Für Linsenmaier, den man als Nachfolger Sibylle Merians nehmen könnte, spielt das Verhalten überhaupt keine, für Jünger nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Fabre wäre also mit Jüngers Konzentration auf die bloße Beschreibung nicht einverstanden gewesen: »Wann«, so fragt er und könnte damit auch Jünger ansprechen, »wann gibt es endlich ein Labor für Insektenforschung, wo man nicht tote, in 36%igen Branntwein eingelegte Insekten, sondern lebendige studiert, ein Labor, das sich mit dem Instinkt befasst, mit dem Verhalten, der Lebensweise, der Arbeit, den Kämpfen und mit der Propagierung dieser kleinen Welt«? Der Sammler Jünger dagegen spricht selbst davon, dass seine Tiere die »camera di muerte« passieren, die Todeskammer, und auf diese Weise zwar »relative Unsterblichkeit« gewinnen, aber dabei doch leider sterben müssen; und er findet das durchaus richtig und auf jeden Fall unvermeidlich. An der Beobachtung des Insektenverhaltens dagegen zeigt er keinerlei Interesse; wir sehen ihn selbst auf der Pirsch, das Netz in der Hand, die Käfer dagegen sehen wir niemals jagen.

Die immer sehr präzise, oft poetische Schilderung der Gestalten von Pflanze und Insekt ist die eine Ebene des Buches, eine andere ist die autobiografische. Eigentlich sind die »Subtilen Jagden« eine etwas lückenhafte und dazu sprunghafte Lebensbeschreibung, eine Autobiografie am Leitfaden der Käferjagd. Aus dem Gewebe seines damals bereits siebzig Jahre währenden Lebens zog Jünger einen Faden, der ihm offensichtlich besonders wichtig war, und so erfährt der Leser mehr beiläufig einiges über andere Widerfahrnisse – angefangen mit seinen Kindheitserinnerungen, in denen ihm besonders der Vater wichtig war, seiner Schulzeit, nur beiläufig von den Grabenkämpfen des Weltkrieges (selbst dort sammelte er Käfer!) und so weiter. Den Beginn des Nationalsozialismus schildert er in einem Kapitel, das seine Erfahrungen mit Antiquariaten und dem Erwerb entomologischer Nachschlagewerke behandelt.

Besonders auffällig muss es sein, wie genau Jünger bereits vor Jahrzehnten auf Probleme aufmerksam machte, die erst heute ein breiteres Publikum beschäftigen. Das massenhafte Artensterben, einerseits dank der bloßen Abholzung der Wälder, mehr noch aber verursacht durch den extremen Gifteinsatz in der Landwirtschaft, wird von ihm in seinen »Subtilen Jagden« keinesfalls beiläufig beklagt, und eine seiner bekanntesten Erzählungen, »Gläserne Bienen« von 1957, handelt ja auch schon von kleinen bienenähnlichen Maschinen, die durch einen Garten summen; der Zufall will es, dass ausgerechnet jetzt Artikel erscheinen, die den geplanten und vielleicht auch wirklich notwendigen Ersatz von Bienen durch Drohnen behandeln. Denn Bienen drohen auszusterben, sind aber offenbar für die Bestäubung der Blüten wichtiger, als gewisse Leute meinten. Bei Jünger hätten sie schon seit langem nachlesen können, wie sehr sie sich da irrten. Unter diesen Umständen scheint es noch einmal merkwürdig, dass er sich so wenig für das Leben der Käfer interessiert und auch das – oder besser: sein – Töten und Einlegen der Tiere kaum reflektiert – jedenfalls nicht selbstkritisch.

Jünger hat offensichtlich nicht gedacht, dass er nach Abschluss des Buches noch mehr als drei Jahrzehnte zu leben haben würde. Dabei fängt das letzte Kapitel doch mit dem hellseherischen »Jäger und Sammler werden oft sehr alt« an. Und er starb ja wirklich erst 1998 in einem wahrhaft biblischen Alter, aber schon im Mai 1967 schloss er das Buch ab, dessen letzte Seiten sich mit den Schätzen beschäftigen, die ein Sammler hinterlässt. Er selbst schenkte uns dieses wunderbare Buch.

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