An Paul Westheim kam in den 1920er Jahren kein Kunstfreund der Weimarer Republik vorbei. Doch nach wie vor fehlt eine umfassende Biografie des Kunstschriftstellers und -kritikers. Einen ersten Schritt haben Bernd Fechner und York-Egbert König gemacht. Stefanie Handke hat ihren kleinen Überblick gelesen.
Heute fast vergessen ist der Kunstpublizist und -schriftsteller Paul Westheim, doch in der Zeit der Weimarer Republik machte er sich als Kenner und Netzwerker in Sachen Kunst schon in jungen Jahren einen Namen. Nichtsdestotrotz fehlte bisher eine Biografie dieses interessanten Mannes. Mit dem in der Reihe »Jüdische Miniaturen« erschienenen Biografie legen Bernd Fechner und York-Egbert König nun immerhin einen ersten Abriss vor.
Aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammend, etablierte sich Paul Westheim schon früh als Kritiker. Bereits mit 16 Jahren schrieb er – die ersten Beiträge noch ohne namentliche Kennzeichnung – für verschiedene Zeitungen und konnte sich auf diese Weise als eigenständig denkender, selbstbewusster Autor etablieren. 1906 siedelte er nach Berlin über, damals eines der Kunstzentren des Landes, und konnte sich hier als wichtiger Teil der Kunstszene etablieren. Schnell brachte er sich dabei auf die Seite der jungen Künstler, vor allem des Expressionismus, und machte sich einen Namen als Ressortleiter des Kunstreferats der Frankfurter Zeitung, und wurde von Herwarth Walden gemeinsam mit Robert Breuer als Gegner ausgemacht. Westheim war eine Hausnummer.
Der Coup gelang ihm mit der Gründung des »Kunstblattes«, das im Januar 1917 erstmals und bis März 1933 durchgehend erschien. Gemeinsam mit dem Verleger Gustav Kiepenheuer hatte er das Blatt lanciert; er positionierte es als Blatt mit dem Ziel, junge Künstler in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Jeweils einer wurde pro Ausgabe abgehandelt, mit Essays und Glossen, Rezensionen und Berichten. Neben der normalen Ausgabe bot der Verlag zudem eine limitierte Sonderausgabe, hochwertig gedruckt und mit je einer Originalgrafik versehen. Der Erfolg hab dem »Kunstblatt« recht – es hielt sich trotz Krieg und Wirtschaftskrise bis 1933 und konnte auch Widerständen standhalten – was sicherlich auch daran lag, dass Paul Westheim wenig auf Kritik reagierte und bald eine Reihe namhafter Autoren und Kunstkritiker für sein Blatt gewinnen konnte. Der nächste Coup sollte auch nicht lange auf sich warten lassen und mit seiner »Orbis Pictus« -Reihe lenkte der Herausgeber den Blick auf außereuropäische Kulturen. Der Titel war freilich bewusst in Bezug zu Comenius‘ Lehrbuch gewählt.
Darüber hinaus pflegte Westheim zahlreiche Freundschaften zu zeitgenössischen Künstlern. Insbesondere Oskar Kokoschka und Wilhelm Lehmbruck erschienen immer wieder in seinen Publikationen – Sonderhefte des »Kunstblattes« zu Kokoschka erschienen und nach Lehmbrucks Selbstmord 1919 wurde sein Freund, der Publizist nicht müde an ihn zu erinnern.
Neben dem »Kunstblatt« und dem »Orbis Pictus« widmete sich Westheim auch zahlreichen anderen Publikationen, die seinen Ruf begründeten: Er gab das Mappenwerk »Die Schaffenden« heraus, veröffentlichte das »Holzschnittbuch«, eines über seinen Freund Lehmbruck, usw. Sein scharfes Einstehen für die Kunst der Gegenwart indes brachte ihm neben dem Widerstand von Kollegen schließlich auch die Kündigung durch die Frankfurter Zeitung ein: Im November 1924 erhielt er diese. Der Grund: Sein scharfes und unnachgiebiges Eintreten in diesem Fall für Otto Dix‘ »Der Schützengraben«, das angeblich nicht mit der Liberalität der Zeitung in Einklang zu bringen sei. Zeit für einen Verlagswechsel.
Gemeinsam mit Carl Einstein erarbeitete Westheim den »Europa Almanach«, in dem die beiden Herausgeber alle wichtigen Strömungen und Künstler der letzten Jahre vorstellten. Auch Einstein war ein Freund Westheims. Nichtsdestotrotz stand aber weitere Veränderung an: Gustav Kiepenheuer finanzielle Situation nötigte ihn, sich vom »Kunstblatt« zurückzuziehen – ein Verlagswechsel stand an. Westheim ging zu Hermann Reckendorf Berlin, dem Haus der Zeitschrift »Die Form«, womit sich seine Zeitschrift also in bester Gesellschaft befand, und was Westheim und Reckendorf nutzten, um den Seitenumfang zu vergrößern und Form und Inhalt zu erweitern. Einen echten Dämpfer versetzten dann erst die Weltwirtschaftskrise ab 1929 und die Folgejahre.
Mit seiner oft auch politischen Betrachtungsweise der Kunst und seinem kritischen Geist geriet Westheim freilich auch in den Fokus der Nazis. Kein Wunder also, dass er mit deren Machtergreifung 1933 nach Paris fliehen musste. Das Exil blieb ihm aber ein Hort der Kreativität und weiter war er als Redakteur und Herausgeber tätig, beobachtete das politische und künstlerische Geschehen im Deutschen Reich scharf, war beteiligt an der Gründung des Deutschen Künstlerbundes 1937 und dessen Ausstellungen und blieb ganz Kunstpublizist und -schriftsteller. Selbst die erneute – abenteuerliche – Flucht 1941 nach Mexiko ließ ihn nur wieder ein neues Betätigungsfeld, nun die Kunst seiner neuen Heimat entdecken. Hier geriet er zwar bald zwischen die Fronten der unterschiedlichen antifaschistischen Emigrantengruppen, aber das hinderte ihn nicht an seiner Auseinandersetzung mit der Kunst, hielt er sich doch sonst aus diesen Streitigkeiten heraus. Mit seinen Artikeln erregte er auch die Aufmerksamkeit Wilhelm Worringers. Heute wird diesem nachgesagt, er sei Lehrer Paul Westheims gewesen. Das stimmt aber nicht: Westheim war nie an irgendeiner Universität eingeschrieben, er war kein akademischer Kunsthistoriker, sondern »lediglich« Enthusiast und Kenner. Worringer als seinen Lehrer zu bezeichnen ist also eher Ehrensache als alles andere.
Eine Publikation über Paul Westheim kommt freilich nicht an der Frage nach seiner Kunstsammlung vorbei. Bis heute sind ihr Verbleib und ihre Geschichte ungeklärt: Wurde sie zerstört? Betrog ihn die Kunsthändlerin, der seine Freundin Charlotte Weidler sie anvertraut hatte? Oder hatte Westheim sich lediglich falsch erinnert und ebenjener Freundin die Sammlung nicht nur anvertraut, sondern gar geschenkt, sodass er also nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keinen Anspruch mehr darauf haben konnte? Diese Frage kann freilich auch diese kleine Miniatur nicht beantworten und sie bleibt spannend. Jedenfalls kämpfte Westheim nach dem Ende des Weltkrieges um Entschädigung für seine Verluste, unter anderem durch das Verschwinden dieser Sammlung – mit begrenztem Erfolg. Immerhin erhielt er eine Versehrtenrente und Entschädigung für einige Verluste.
Mit einer Residency, die er 1963 erhielt, kehrte er erstmals und zugleich zum letzten Mal nach Deutschland zurück. Noch im Dezember 1963 eröffnete er das Lehmbruck Museum – wer, wenn nicht er? Jedoch war Westheim da bereits krank und verstarb am 21. Dezember in Berlin und wurde hier auch drei Tage später beigesetzt.
Die kleine Biografie bleibt freilich schlaglichtartig – das liegt in der Publikationsform gegründet, immerhin soll es eine Miniatur sein, keine umfassende Aufarbeitung. Bernd Fechner und York-Egbert König aber illustrieren, dass eine umfassend aufgearbeitete Biografie des Kunstkritikers und – schriftstellers Paul Westheim längst überfällig ist. Nach der Lektüre wünscht man sich mehr zu erfahren über das Netzwerk, das Westheim unterhielt, darüber wie es seine Arbeit beeinflusste, welchen Einfluss sein Privatleben auf seine Arbeit hatte, und und und. So zeigen die beiden Autoren dieses Manko bestens auf und stellen darüber hinaus noch eine unbequeme Frage: Warum wurde diese spannende Figur der Kunstwelt des 20. Jahrhunderts eigentlich derart von der Erinnerungskultur vergessen? Lag es wirklich daran, dass er ein Kunstvermittler und selbst kein Künstler oder Kunsthistoriker war? Oder war er einfach nicht links oder rechts genug? Die Antwort könnte vielleicht eine solche umfassende Biografie geben, auf die man nur hoffen kann.