Minusgrade, eisige Winde und Schnee kennzeichneten den Kunsthistorikertag in Greifswald. Ein paar hundert Mutige trauten sich dennoch in die Hansestadt, um den Vorträgen zu lauschen oder selbst einen zu halten. Rowena Fuß berichtet.
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Greifswald? Jawohl, Greifswald! Warum der diesjährige Kunsthistorikerkongress ausgerechnet an den Rand der Republik verlegt wurde, wissen wohl nur die Veranstalter selbst. Vielleicht war nach Würzburg (2011) und Nürnberg (2012) die Zeit reif, das Zentrum zu verlassen und sich der Peripherie zu widmen. Immerhin wurde schon in Nürnberg auf dem Internationalen Kunsthistorikerkongress statt vom Kunstwerk über das viel abstraktere Objekt oder über die Aura des Kunstwerks gesprochen. Ereignisse, die dazu führen müssen, sich zu fragen: Ist Kunstgeschichte jetzt Bildwissenschaft oder ist diese nur ein Teil jener, der gerade richtig entdeckt wird? (Oder wie in Marburg 2009 getitelt wurde: »Kunst- und Bildwissenschaft – Kanonbruch oder Anschluss an den Kanon?«).
Exemplarisch wurde dieser alte Streitpunkt in der Sektion »Come ride with me / through the veins of history: Musikvideo, Kunstgeschichte und Bildwissenschaften«. Denn natürlich kam die Frage auf, warum das Musikvideo plötzlich ein Forschungsgegenstand der Kunstgeschichte sei. Antwort: Weil es sich hierbei um eine Schnittstelle zur europäischen Hochkunst/der Kunstgeschichte bzw. –theorie handelt. Und genau diese Schnittstellen sind es, denen sich die kunsthistorische Forschung bisher zu wenig gewidmet hat, ja, die regelrecht marginalisiert wurden und nun neu erschlossen werden müssen. Das kann natürlich nur funktionieren, indem das eigene Blickfeld mithilfe verschiedener anderer Forschungsansätze erweitert wird – womit man die traditionelle Kunstgeschichte verlassen hätte und bei der Bildwissenschaft angelangt wäre. Elegant ist die Lösung, etwa in Jena, wo der Studiengang mittlerweile »Kunstgeschichte & Bildwissenschaft« heißt und traditionelles Fachwissen mit einem Blick über den Tellerrand vermittelt wird.
Der Greifswalder Kongress verwirklichte insofern tatsächlich sein Ziel, Anstoß zu geben, um »grundsätzlich über traditionelle thematische, geographische und methodische Grenzen des Faches Kunstgeschichte nachzudenken«. Insgesamt zwölf Sektionen boten genügend Platz für weitere kritische Reflexionen hegemonialer Kategorisierungen. Mirjam Brusius und Michael S. Falser thematisierten in der Abteilung »Transkulturelle Kunstgeschichte« beispielsweise den Umgang mit Kulturerbe und hinterfragten mit ihren Beispielen aus dem mittleren Orient und Kambodscha nicht nur die geografischen Grenzen des Fachs, sondern nahmen auch die Dynamiken von Kontakt- und Austauschprozessen zwischen Kulturen in den Blick.
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Anschluss boten die Sektion »Laboratorium Romantik«, aber auch »Kulturtransfer«. Herausgehoben sei aus erster der spannende Vortrag von Gregor Wedekind. Dieser widmete sich der bildnerischen Umsetzung von Weltzuwachs und -verlust bei Théodore Géricault und Caspar Davis Friedrich. In Géricaults »Floß der Medusa« (1819) etwa gibt es nur Chaos und Leiden, die Bildmitte – in der traditionellen Historienmalerei der Platz für den Helden – bleibt frei. Eine Absage an Rettung und den Verweis an ein grausames Universum beinhaltet auch Friedrichs »Eismeer« (1823/24). Eine Gemeinsamkeit, die die beiden Künstler, der eine Franzose und Katholik, der andere Deutscher und Protestant, verbindet und somit nicht als Länder- oder konfessionelles Spezifikum, sondern als paradigmatische Anschauungsform des Romantischen gelten kann.
Überhaupt mag man diesem Kongress alles andere als Starrheit attestieren. Immer ging es um Bewegung. So etwa in der Sektion »Kunst, Mobilität und Bewegung«, die es sich sogar in den Titel geschrieben hatte, als auch bei »Kulturtransfer – Akteure und Wege im östlichen Mitteleuropa des Hohen und Späten Mittelalters«, wo u.a. Marina Beck und Monika Borowska über Ausbildungsbestimmungen, Künstlerwanderschaft und Zunftordnungen im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit von Hamburg bis Danzig referierten.
Fazit: Trotz des wenig einladenden Wetters entpuppte sich Greifswald als lohnenswerter Anlaufpunkt und ein vielversprechender Trittstein auf dem Weg zu einer Kunstgeschichte »ohne Grenzen«.