Rezensionen

Hermann Arnhold, Ursula Frohne, Marianne Wagner (Hg.): Public Matters. Debatten & Dokumente aus dem Skulptur Projekte Archiv, Verlag der Buchhandlung Walther König

Seit 1977 finden in Münster alle zehn Jahre die sogenannten »Skulptur Projekte« statt, eine Ausstellung von Skulpturen im offentlichen Raum. Das Kuratorenteam lädt dazu internationale Künstler*innen ein, in der Stadt in situ, also unmittelbar am Ort zu arbeiten. Das in den 40 Jahren entstandene Archiv ist eine einzigartige Quelle zum Thema Kunst im offentlichem Raum. Da zahlreichen Archivalien aus der Hand der Künstler stammen, ist diese erste umfassende Publikation nicht nur informativ, sondern auch von großer künstlerischer Attraktivitat. Katja Weingartshofer zeigt sich begeistert.

Cover © Verlag Walter König
Cover © Verlag Walter König

 

Wer an moderner und zeitgenössischer Skulptur interessiert ist, sollte alle zehn Jahre durch Münster spazieren, am besten dann, wenn die Jahreszahl auf einer Sieben endet. Seit 1977 nehmen die Skulptur Projekte im Zehnjahresrhythmus Münsters öffentlichen Raum ein und sorgen seitdem sowohl für Skandale als auch Begeisterung, in jedem Fall bereiten sie viel Diskussionsstoff. Doch sind die Archivalien, die sich im Zuge der Skulptur Projekte angesammelt haben, genauso spannend? Definitiv! Der stattliche Band mit 480 Seiten mag vielleicht einschüchtern, doch ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt: in dieser Publikation tummeln sich kritische Diskurse, Debatten, polarisierende Werke und spannende Einblicke in dieses so einzigartige Ausstellungsformat. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Skulptur Projekten (vor allem der Jahre 1977, 1987 und 1997) ist dieser Band ein unverzichtbares Nachschlagewerk. »Public Matters« besticht durch die erstmalige Veröffentlichung zahlreicher Archivdokumente, die in verschiedenen diskursiven Formaten aufbereitet werden. Essays und Gespräche thematisieren den Zusammenhang von Kunst und Öffentlichkeit und laden zur intensiven Vertiefung ein. Im Zentrum der Fallstudien stehen ausgewählte Forschungsfragen und Werke. Statements lassen die Personen hinter den Skulptur Projekten zu Wort kommen.

»Ich glaube, ab 3. Juli kann ich nur noch mit Sturzhelm herumlaufen«, sagte Klaus Bußmann, der Organisator der »Skulptur 77« in der Münsterischen Zeitung und wies damit auf die anfängliche Aversion der Münsteraner*innen gegenüber den Skulptur Projekten hin. Doch rasch kippte der anfängliche Protest in Wohlwollen um – 1997 wurde zur Ausstellungseröffnung bereits ein Fest gefeiert. Gespräche und Fallstudien geben Aufschluss über den institutionellen Anfang der Skulptur Projekte sowie das kuratorische Konzept von Klaus Bußmann und Kasper König. Die beiden Kuratoren teilten die Ausstellung in drei Bereiche: Erstens eine historische Retrospektive zur modernen Skulptur, die im Museum stattfand. Zweitens die Positionierung von autonomen abstrakten Skulpturen in der Stadt Münster, die die aktuellen Tendenzen der zeitgenössischen Skulptur darstellten. Und drittens der von Kasper König kuratierte »Projektbereich«, in dem Künstler*innen Arbeiten in situ schufen, wodurch sich das Ausstellungskonzept aus der Kunst selbst heraus entwickelte. Der Zehnjahresrhythmus, der »westfälische Rhythmus«, war zunächst ein Zufall, wurde aber bald etabliert, denn er erwies sich als ideal, um Entwicklungslinien der zeitgenössischen Skulptur nachzuvollziehen. Bußmann und König gelang es, institutionskritische Kunst in den öffentlichen Raum zu bringen und sie kostenlos zugänglich zu machen. Außerdem arbeiteten sowohl die Künstler*innen als auch das kuratorische Team autonom und unabhängig vom Kunstmarkt. Dieser Ansatz wurde wegweisend für nachfolgende Ausstellungsformate und da die Öffentlichkeit ein so wesentlicher Parameter der Skulptur Projekte ist, steht sie auch im Zentrum dieser Publikation.

Kurator*innen, Archivar*innen und Vermittler*innen werden in »Public Matters« gleichermaßen angesprochen, da die Publikation mit interessanten Fragestellungen und Themen für jeden der Fachbereiche aufwartet. Kann ein Archiv etwa als Kampfplatz begriffen werden, da es dazu imstande ist ein Gegennarrativ zur kanonischen Erzählung der westlichen Kunstgeschichte zu bilden? Die Archivforschung übernimmt demnach eine politische Aufgabe, da es Verantwortung für die Neuschreibung der Geschichte in unterschiedlichen Kontexten übernimmt. Es sind diese Fragestellungen und Thesen, die Theorie und Praxis des Archivierens lebendig machen und gleichzeitig deren wissenschaftliche Brisanz zementieren. Neben Dokumenten, Skizzen und Korrespondenzen hütet das Skulptur Projekte Archiv auch Konzepte kuratorischer Praktiken. Bußmanns und Königs Leitmotiv, die Wechselwirkung von Kunst und Öffentlichkeit zu demokratisieren und eine Basis für den dialogischen Austausch über Kunst im öffentlichen Raum zu schaffen, bildet hierbei den Ausgangspunkt. Ergänzt wurde deren Konzept von Beginn an durch ein ausführliches Vermittlungsprogramm wie etwa Vorträge im Vorfeld der Ausstellung.

Von Claes Oldenburgs Giant Pool Balls (1977) bis hin zu Oscar Tuazons Fire Building (2017): Die öffentliche Sammlung wächst seit 1977 stetig. Nach jeder Ausgabe der Skulptur Projekte werden hitzige Diskussionen über den Verbleib einzelner Arbeiten geführt. Wer also nicht bis 2027 warten möchte und beizeiten in Münster vorbeikommt, setze sich mit den Werken auseinander, die schon fest im Stadtraum etabliert sind, wie zum Beispiel Rosemarie Trockels Eibenskulptur Less Sauvage than Others (2007) und Donald Judds konzentrische Betonringe Untitled (1977). Die Fallstudie, welche diese Wahlverwandtschaft in »Public Matters« herausarbeitet, sollte davor unbedingt gelesen werden.

»Public Matters« zeigt die ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts »Das Skulptur Projekte Archiv Münster. Eine Forschungseinrichtung für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit«. Ziel war die Etablierung einer Archivinfrastruktur, die Sicherung der Bestände sowie die Vermittlung der Archivdokumente mittels innovativer Präsentationsformen. Der Bestand der Jahre 1977, 1987 und 1997 konnte vollständig inventarisiert werden und bildet somit die Basis der Beiträge dieser Publikation. Sicherung und Kontextualisierung der jüngeren Archivkonvolute stehen noch aus – man darf also gespannt auf weitere Debatten und Dokumente aus dem Skulptur Projekte Archiv sein!

Public Matters. Debatten & Dokumente aus dem Skulptur Projekte Archiv.
Herausgegeben von Hermann Arnhold, Ursula Frohne, Marianne Wagner
Verlag der Buchhandlung Walther König
480 Seiten
ISBN/EAN978-3-96098-670-6

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