Ausstellungsbesprechungen

Hinter dem Horizont… Kunst der DDR aus den Sammlungen des Staatlichen Museums Schwerin, bis 7. Oktober 2018

Nein, es ist nicht DDR-Kunst, die in Schwerin gezeigt wird; vielmehr ist es Kunst, die bis 1989 im Osten Deutschlands entstand. Stefan Diebitz hat eine empfehlenswerte Ausstellung besucht.

Man kann gut verstehen, dass kaum ein Künstler seine Arbeiten in die Schublade »DDR-Kunst« einsortiert sehen möchte, denn natürlich ist eine solche Etikettierung nicht freundlich gemeint. Die Vorurteile, die manch Besucher mitbringen wird, werden aber von den ungefähr einhundert Exponaten dieser ebenso interessanten wie vielseitigen Ausstellung gründlich widerlegt. Kunst aus der DDR war ebenfalls weltläufig – wenngleich notgedrungen auf eine andere Weise als die aus dem Westen –, und sie stand keinesfalls immer und überall unter dem Pantoffel der Partei. Das Bild des »schwebenden Liebespaares« von Wolfgang Mattheuer (1924 – 2004) auf Plakat und Katalog soll vermutlich deutlich machen, dass im Schweriner Sommer von 2018 eben nicht ideologietriefende Kunst präsentiert wird.

Trotzdem, sozialistischer Realismus, also Heldenverehrung im Dienste des Politbüros und des Fünfjahresplans – Anklänge daran gibt es gelegentlich auch in dieser Ausstellung. Als Besucher kommt man nicht darum herum, sich mit dem »Bitterfelder Weg« von 1951 auseinanderzusetzen – das sollte der Weg in den ödesten sozialistischen Realismus werden – oder noch einmal nachzulesen, was es mit der nach dem Dienstantritt Honeckers geltenden Parole »Weite und Vielfalt« auf sich hatte. Damals schien nach der Zwangspensionierung des ehrenwerten Herrn Ulbricht für ganz kurze Zeit die reelle Chance auf eine Liberalisierung zu bestehen, aber dann war es doch wieder nichts. Es hatte nur so ausgesehen, auch wenn sich die Künstler in der Folgezeit mehr und mehr gewisse Freiheiten nahmen.

Die Ausstellung ist in fünf Kapitel gegliedert, die von Pro- und Epilog eingeklammert werden. Der Prolog präsentiert das, was viele unter DDR-Kunst verstehen: Die »Jugendbrigade im Aufbruch« von Carl Hinrichs (1961) zeigt fünf ländlich gekleidete junge Frauen auf dem Weg zur herbstlichen Ernteschlacht; die Hacke in der Faust, schreiten sie frohen Mutes auf der Ackerkrume voran. Ähnlich in das Arbeitsleben eingebettet sind die »Fischer und Studenten« aus der Hand von Konrad Hornberg (1963/64) – beide Kunstwerke sind dem Realismus, aber wohl doch auch Propaganda und Ideologie verpflichtet, handwerklich ähnlich gut gemacht wie ein Gemälde von Hedwig Holtz-Sommer von 1952, das den »Aufbau der Stalinallee« schildert, und trotzdem heute nicht mehr der ganz große Renner.

Ganz anders die Bilder des ersten Kapitels, das die Einflüsse der klassischen Moderne vorstellt und dabei sehr, sehr schöne Arbeiten von Otto Niemeyer-Holstein (1896 – 1984) und Otto Manigk (1902 – 1972) präsentiert – diese beiden Künstler, aber auch andere lassen sich nun wirklich nicht unter dem Etikett DDR-Kunst versammeln. Vielmehr findet man Einflüsse des Impressionismus, des Expressionismus oder von Paul Cézanne, die aber eine eigene Handschrift nicht verhindern. Das folgende, der Skulptur gewidmete Kapitel präsentiert größtenteils gezeichnete Entwürfe – und es geht fast immer um die menschliche Gestalt, die natürlich auch in dem folgenden, dem Porträt gewidmeten Kapitel eine wichtige Rolle spielt. Bereits der Titel »Außenseiter und Intellektuelle« weist darauf hin, dass von einer parteinahen Kunst überhaupt nicht die Rede sein kann. Fast alle diese Porträts sind sorgfältig gearbeitete, vor allem sehr gekonnt die Gestik einsetzende Arbeiten. Der »Kopf mit hohem Haar« Karin Sakrowskis, ein manieristisch gelängter Männerschädel, ist dagegen eine eindrucksvolle Skulptur.

Ein eigenes Kapitel – »Meer: Brücke und Barriere zur Welt« – ist der Küste gewidmet. Hier ist die stilistische Vielfalt besonders auffallend; manche Bilder muten noch impressionistisch an, andere lassen einen Einfluss des Surrealismus vermuten. Und eine gewisse Symbolik liegt natürlich immer nahe, denn wie könnte man nicht daran denken, dass auf der nördlichen Seite der Ostsee freie Länder lagen, in die man nur zu gerne gereist wäre? Davon lebt schon Alfred Anderschs kleiner Roman »Sansibar oder der letzte Grund«, in dem auf eine Skulptur Ernst Barlachs angespielt wird, den »lesenden Klosterschüler«. Man glaubt es nicht (oder will es nicht glauben), aber selbst ein Ernst Barlach wurde von den Parteibonzen des »Formalismus« verdächtigt, wie man einem Katalogbeitrag Gerhard Graulichs entnehmen kann. – Dass überhaupt Formalismus ein Vorwurf sein konnte, sagt wohl alles über die Kunstsinnigkeit des Politbüros.

Im 5. Kapitel – »Antipoden: Realismus – Abstraktion« – geht endgültig jede stilistische und künstlerische Einheitlichkeit verloren, auch wenn sich das Museum in seinen Anschaffungen über Jahrzehnte hinweg an der Sammlung niederländischer Kunst orientierte, für die es bis heute bekannt ist. Im Vordergrund stehen also Porträts, Stillleben und Landschaftsbilder.

Besonders hervorheben muss man in diesem Kapitel die vier Porträts von sowjetischen Soldaten auf feuerrotem Grund, die Thomas Ziegler 1987 erstellt hat. Er erhielt für sie sogar den Kunstpreis der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, durfte eine Dankesrede halten und wurde in einer Zeitschrift namens »Armeerundschau« zusammen mit seinem Bild ausführlich vorgestellt. Der Künstler sympathisierte mit Gorbatschows Kurs, der in der DDR nun wirklich nicht geschätzt wurde, aber seine wahre Intention verstand man nicht oder wollte man nicht verstehen. Im Katalog beschreibt Torsten Fried in seinem Aufsatz die Geschichte dieses Bildes und seiner Rezeption. Der heutige Besucher wird bei einem flüchtigen Hinsehen zunächst eine Auftragsarbeit im Dienste der Partei vermuten, aber das ist eben weit gefehlt – die Bilder sind einer Eigeninitiative des Künstlers zu verdanken, und mit Propaganda haben sie ganz und gar nichts zu tun.

Noch viel mehr gilt das natürlich für eine der Spezialitäten des Hauses, für die »Mail Art«, die im »Ausstieg aus dem Bild« überschriebenen Epilog vorgestellt wird und schon in mehreren Ausstellungen der letzten Jahre eine Rolle spielte. Man schickte einander Karten (oder ließ sich solche schicken) – oft mit ironischen oder witzigen Texten, die schon eine gewisse Nähe zum Kabarett verraten. Zensur bringt eben auch Vorteile mit sich, zum Beispiel den, dass sie den Hintersinn fördert, den Witz und damit auch die Intelligenz. Ein Beispiel dafür ist eine Aktion von Birger Jesch, der auf die Einführung des Wehrkundeunterrichts reagierte, indem er Freunden, Bekannten und Kollegen Postkarten mit einer aufgeklebten »Internationalen Luftgewehrscheibe« mit in den Urlaub gab, damit sie diese ihm, mit Kommentaren oder Collagen ergänzt, zurückschickten. Wieviele dieser Karten ihren Adressaten nicht erreichten, muss natürlich dunkel bleiben, aber es blieben doch genug für eine hübsche Montage. Wäre also Mail Art nicht doch DDR-Kunst? Nur eben nicht die graue und trübe, die viele vor Augen haben, wenn sie davon sprechen.

Schließlich seien hier noch einige Foto- und Videoarbeiten erwähnt, in denen ein gewisser aufrührerischer Charakter ebenfalls deutlich wurde. Besonders die Arbeiten Holger Starks, aber auch anderer, zeugen von viel Selbstironie und einem gewissen gesunden Anarchismus und machen noch heute Spaß – auch wenn man sie als Außenseiter nicht immer leicht verstehen kann und auf Erläuterungen angewiesen ist.

Wichtig sind Ausstellung und Katalog nicht zuletzt wegen der Dokumentation der Ausstellungen seit 1945 und der Anschaffungen. Das Verzeichnis der ausgestellten Werke informiert den Leser bei jeder einzelnen Arbeit über deren Provenienz; in der Mehrzahl der Fälle wurden die Arbeiten direkt vom Künstler gekauft, gelegentlich auch von Galerien, und dann gibt es noch eine Vokabel, die uns heute in diesem Zusammenhang etwas merkwürdig berührt: »Überweisung«. Gemeint ist damit, dass das Werk vom Kulturfonds der DDR, vom Rat des Bezirkes Schwerin oder einer anderen staatlichen Institution angekauft und dann dem Museum überlassen (an es »überwiesen«) wurde.

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