Dürfen Kommunisten träumen? Oder müssen sie erst das Parteikomitee um Erlaubnis fragen? Der an sich gewitzte Ansatz Fritz Cremers für die Bildergalerie im ehemaligen Palast der Republik sorgt selbst heute noch für einiges Kopfzerbrechen. Rowena Schubert-Fuß weiß mehr.
Heute erinnert nichts mehr an den Palast der Republik. 2006 wurde er abgerissen. An seiner statt steht nun das frisch wieder aufgebaute – allerdings noch leere – Stadtschloss. Vom zentralen Repräsentationsbau der DDR, in dem nicht nur das Parlament tagte, sondern auch Kulturveranstaltungen stattfanden, sind 16 großformatige Bilder erhalten geblieben. Ihnen hat sich der Kurator Michael Philipp gewidmet. Als Annex zur Schau »Hinter der Maske. Künstler in der DDR« waren sie aktuell von Oktober 2017 bis Februar 2018 im Potsdamer Museum Barberini zu sehen.
Der Katalog zur Ausstellung versteht sich denn auch als Dokumentation dieser Werke, die seit über 20 Jahren wie ein Phantom durch die Zeitgeschichte geistern. Um 1975 entstanden und bis 1990 im Palast gezeigt, lagen sie nach der politischen Wende im Depot des Deutschen Historischen Museums. Lediglich einzelne Werke waren zwischenzeitlich und für kurze Zeit für Ausstellungen entliehen.
Im Vorwort ist zu lesen, dass die Dokumentation Museumsbesucher anregen soll, die vermeintliche Staatskunst mit den Bildern der Schau »Hinter der Maske« zu vergleichen und sich so eine eigene Meinung zum Gezeigten zu bilden. Dafür ist das unhandliche große Format des Katalogs jedoch wenig geeignet. Die Auseinandersetzung findet somit nicht vor den Bildern statt, sondern lediglich als Nachlese. In einer ausführlichen Einführung erfährt man zunächst etwas über die Entstehung der Galerie und ihrer Werke. Darauf folgt ein Bildteil mit großformatigen Abbildungen, denen zusätzlich eine detaillierte Analyse des jeweiligen Gemäldes gegenübersteht. Den Fokus der Ausführungen bildet die inzwischen leidlich ausgewalzte Frage nach der Künstlerautonomie bei Staatsaufträgen.
Eine Lektüre lohnt sich trotzdem. Die Geschichte der Palast-Galerie liest sich stellenweise wie ein Abenteuerroman. Es beginnt mit der mehr als ehrgeizigen Bauzeit von drei Jahren. Konzepte werden im laufenden Baubetrieb immer wieder abgeändert oder verworfen. Zwischen dem Chefarchitekten Heinz Graffunder und Fritz Cremer herrscht ein anhaltender Konkurrenzkampf. Da an der grundsätzlichen Konzeption der Architektur festgehalten wird, stehen den an der Ausgestaltung beteiligten Künstlern nur die durch den Bau vorgegebenen Möglichkeiten zur Verfügung. Ein Arbeiten innerhalb des Gebäudes ist wegen der bis zum Tag der Eröffnung andauernden Bauarbeiten unmöglich. Man einigt sich deshalb auf bemalte Platten, die später montiert werden.
So begleitet ein ständiger Dualismus die Entstehungsphasen der Galerie. Auch scheinbare Widersprüche nehmen sich dabei nicht aus. Bereits das Thema der Galerie »Dürfen Kommunisten träumen?« beinhaltet einen doppelten Boden. Es entstammt einer Programmschrift Lenins von 1902. Darin schreibt er: »Hat eine autonome Redaktion überhaupt das Recht, ohne vorherige Befragung der Parteikomitees zu träumen?« – an sich ein Witz über eine restriktive Obrigkeit. Lenin formulierte es als Antwort auf einen Aufsatz des Literaturhistorikers Pissarew. Dieser meinte, dass große Taten oft Träumen entspringen würden. Lenin erwiderte daraufhin, dass die Verzagtheit seiner Zeitgenossen, »große und anstrengende Arbeiten auf dem Gebiet der Kunst, der Wissenschaft und des praktischen Lebens in Angriff zu nehmen« daher rührt, dass es »Träume solcher Art … in unserer Bewegung allzuwenig [gibt]. Und schuld daran sind hauptsächlich diejenigen, die sich damit brüsten, wie nüchtern sie seien und wie ›nahe‹ sie dem ›Konkreten‹ stünden.«
Dies lässt aufhorchen, denn Fritz Cremer hatte im Rahmen einer 1961 eröffneten Ausstellung die Absicht geäußert »eingefrorene ästhetische Kategorien aufzutauen und ein neues, assoziatives Denken und Fühlen zu bewirken«. Damals stieß er auf heftige Kritik. In der Präambel zum Entwurf für die künstlerische Gestaltung des Palasts, der im Sommer 1973 entstand, unterstrich Cremer seine Bemühungen auf »Verlebendigung und Vermenschlichung« des Gesamtensembles. Es war eine Absage an bis dato übliche Gedankenkonstrukte aus Überhöhung und Triumph. Für Cremer sollte die Monumentalität des Entwurfs im Geistigen bestehen. Den Gegensatz zu den Gesetzmäßigkeiten des wissenschaftlichen Sozialismus entkräftete er mit dem Verweis, dass Träume als Möglichkeiten des Realen anzusehen seien, die auch das Wissen um Bedrohungen enthalten. Bemerkenswert ist, dass Cremer damit beim Kulturministerium der DDR Erfolg hatte.
Bei den beteiligten Künstlern, darunter Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke, sorgte das Traum-Thema ebenfalls für Schwierigkeiten. Einerseits versprach es große gestalterische Freiheit, andererseits beherbergte es einen inhaltlichen Weißraum. So flossen Gedanken zu Krieg, Zukunftsvisionen, Wertvorstellungen und dem Menschen als Maß aller Dinge zunächst in vier Arbeitsgruppen, die die Arbeiten an den einzelnen Werken koordinieren sollten. Ein Brief von Werner Tübke vom Frühjahr 1974 belegt, dass die Kommunikation in der Gruppe jedoch nicht immer funktionierte. So erhielt er beispielsweise zu Mattheuers Motiv nur die Aussage, dass es sich um eine Landschaft mit großer Figur handeln soll.
Der staatliche Einfluss äußerte sich zu Beginn nur darin, dass »alle Entwicklungsstadien … künstlerischer Arbeit mit dem Beirat für künstlerische Gestaltung« beraten werden sollten – so stand es im Arbeitsvertrag. Als den Mitarbeitern der Kulturabteilung des ZK der SED im Oktober ´74 die Entwürfe der einzelnen Werke präsentiert werden, herrscht allerdings wenig Begeisterung wegen angeblicher inhaltlicher Defizite. Aber erst ein paar Monate später, als die Künstler Kartons der Werke vorstellen, müssen vier von ihnen tatsächlich Nachbesserungen vornehmen. Philipp vermutet ideologische oder ästhetische Gründe, was allerdings nicht mit Sicherheit belegt werden kann. Fakt ist aber, dass der Beirat nach dieser Präsentation im Laufe des Jahres 1975 Atelierbesuche durchführte, angeblich »zur Unterstützung des Arbeitsprozesses«. Ob hier jedoch eine direkte Beeinflussung der Künstler stattfand, ist nicht nachweisbar.
Am Ende waren die großformatigen Bilder nur ein dekoratives Beiwerk des Hauptfoyers, welches sich in dem großen Raum verlor: Kübelpflanzen und die Möblierung verstellten den Blick auf die Arbeiten und auch die Wandverkleidung aus geädertem Marmor lenkte die Aufmerksamkeit des Betrachters ab. Daran änderten auch zahlreiche Mitteilungen in der Presse nichts, die im Lauf des Jahres 1976, nach der Eröffnung des Baus, immer wieder schrieben, die Palast-Galerie sei »bei jung und alt sehr beliebt« und der »Anziehungspunkt« im Palast.
Philipp bemängelt darüber hinaus, dass die Bilder keineswegs eine überzeugende gesellschaftliche Utopie entwerfen. Stattdessen prägen die vielfachen Familienszenen ein Bild vom Rückzug ins kleinbürgerliche Idyll. Warum die ideologischen Defizite die Auftraggeber nicht zu einer Reaktion veranlassten, bleibt für ihn ungeklärt. Denn die Gemälde erzielen weder eine erzieherische Wirkung, noch stärken sie das Klassenbewusstsein oder preisen die sozialistische Gesellschaftsordnung. Bestenfalls nehmen sie, so Philipp, die Erosion des Staates vorweg, deren Beginn der Autor mit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann ansetzt.
Was Philipp nach Meinung der Autorin so stolpern lässt, ist der generell doppelte Boden im System der DDR und ihren Zeugnissen. Seit dem Amtsantritt von Erich Honecker, der zeitlich etwas vor dem Bau des Palasts liegt, lautete das offizielle Motto »Weite und Vielfalt«. Dieses spiegelt sich deutlich in den verschiedenen Gemälden wider. Die Kritik an der mangelnden erzieherischen Wirkung u.a. lässt sich damit erklären, dass die Künstler eher lose Verbindungen zum Traum-Thema zeigen. Dennoch sind die Themen der Werke — zu nennen sind: Familie, Freundschaft, Zusammengehörigkeit, Fortschrittsorientiertheit — durchaus mit der Staatsideologie der DDR konform. Über gestalterische Mängel lässt sich natürlich streiten, aber diese lassen sich mit der den Bildern inhärenten Wirklichkeitskonstruktionen erklären. Dafür lohnt es sich genauer hinzuschauen.
Michael Philipp
Dürfen Kommunisten träumen? Die Galerie im Palast der Republik
Prestel, ISBN: 978-3-7913-5746-1, Ladenpreis 19,95 €