Wie viele Funken ein gelehrter Kopf und erfahrener Wissenschaftler aus der Entstehungsgeschichte eines Gartens schlagen kann, demonstriert Horst Bredekamp in seiner meisterhaften Studie über den großen Garten von Herrenhausen in Hannover, an dessen Anlage kein Geringerer als Gottfried Wilhelm Leibniz an entscheidender Stelle beteiligt war. Stefan Diebitz hat das schmale, aber gewichtige und enorm gedankenreiche Buch über das »Treibhaus von Erkenntnissen« gelesen.
Der Gegensatz zwischen natura naturans und natura naturata, physis und techné, freier und gefesselter Natur zählt zu den Gemeinplätzen der europäischen Geistesgeschichte, und in diesem Konzept gehört der französische Garten mit seinen sauber geschnittenen Hecken, seinen gezirkelten Beeten und überhaupt seiner geometrischen Anlage zweifellos auf die Seite der gefesselten Natur. Als der Gegensatz des Barockgartens gilt der englische Garten oder Landschaftsgarten, der nicht allein die sich frei entwickelnde Natur in weich geschwungenen Linien symbolisiert, sondern zugleich für das libertäre, der Zukunft zugewandte Prinzip steht. Diesem Gegensatz, das ist eine der Kernthesen von Bredekamps Studie über den Herrenhäuser Garten, wird die geistes- und sozialgeschichtlichen Stellung der Gartenanlagen in keinem Punkt gerecht.
Um deutlich zu machen, in welcher Beziehung der riesige Barockgarten von Hannover zur Philosophie von Leibniz steht, muss Bredekamp die Geschichte seiner Planung erzählen, in der besonders die Versorgung von Wasser aus der Leine ein riesiges Problem darstellte. Denn einerseits sollte ein umlaufender Kanal festliche Bootsfahrten erlauben, andererseits die fantastische Höhe einer Fontäne im Zentrum des Gartens die europäischen Ansprüche des Hannoveraner Herrschers symbolisieren.
Bredekamp erzählt die Geschichte des umlaufenden Kanals und der Fontäne in groben Zügen – immer mit Blick auf Leibniz’ Vorschläge und Pläne, die er schon deshalb aus dessen nachgelassenen Papieren rekonstruieren muss, weil sie sich größtenteils nicht durchsetzen ließen. Mit einer schönen Wendung spricht der Autor davon, dass dem Philosophen »ein Feuerwerk von Wasserspielen« vorschwebte. Das Barockzeitalter stellte die Feier der Verschwendung in das Zentrum seiner Kultur, die Zwecklosigkeit des Spiels, und eben diese Feier sollte auch der Garten symbolisieren. Der Autor sieht die Planung des Gartens auf der Folie der Philosophie von Leibniz und setzt damit Überlegungen seines bemerkenswerten Buches »Die Fenster der Monade« fort, in dem er die Bedeutung alles Bildlichen und Anschaulichen für die Philosophie des großen und extrem vielseitigen Denkers darstellt.
Der Herrenhäuser Garten zeichnet sich schon dadurch vor anderen Anlagen aus, dass seine Anlage wichtiger ist als das Schloss. In seiner ganzen Konstruktion ist er auf sich selbst bezogen, und das architektonisch nicht besonders auffällige Schlossgebäude wirkt, wie Bredekamp zuspitzt, »eher wie eine Zutat denn ein orientierender Mittelpunkt.« Der Garten, fährt er an anderer Stelle fort, »war zu keinem Moment seiner Geschichte ein Addendum zu diesem Gebäude, sondern durchweg dessen Über-Ich.«
Der interessanteste Teil des Buches beschäftigt sich damit, einige der Grundprinzipien der Leibnizschen Philosophie am Phänomen des Gartens aufzuzeigen. Das »Indiszernibilienprinzip« (das Kant in der »Kritik der reinen Vernunft« etwas leichter als den »Satz des Nichtzuunterscheidenden (principium identitatis indiscernibilium)« bezeichnete), gehört in das Zentrum dieser Philosophie. Denn wenn sich die Dinge nicht voneinander unterscheiden ließen, dann gäbe es auch keine Individualität. Individualität kommt grundsätzlich allem Seienden zu, keinesfalls allein den Menschen. Die Schlussfolgerung, dass alle Dinge voneinander unterschieden werden können müssen, weil sie wenigstens ein ganz klein wenig anders gestaltet sind oder auch nur eine andere Stelle in Raum und Zeit einnehmen, diese fundamentale Einsicht hat wesentlich die Planung des Gartens beeinflusst. Leibniz hat das angesprochene Prinzip wiederholt demonstriert – ein Stich zeigt ihn, wie er diesen Kernsatz seiner Kosmologie im Garten am Beispiel zweier Blätter demonstriert, die sich immer wenigstens in kleinen Einzelheiten unterschieden.
Leibniz besaß und pflegte ein enges Verhältnis zum Garten. Der Gelehrte liebte es, im Garten zu philosophieren – nicht etwa allein, sondern nur zu gern in Gesellschaft der kultivierten Kurfürstin Sophie und deren ebenfalls sehr belesener Tochter -, und er nahm auch den Garten als Bild der Welt, als »hortensische Zusammenziehung des Makrokosmos«, wie Bredekamp formuliert, als »intrinsische Unendlichkeit«. So scheint es wahrscheinlich, dass die Aufteilung des Gartens den Lehrsatz des Paragraphen 65 der »Monadologie« veranschaulicht, nach dem »jedes Stück der Materie nicht nur ins Unendliche teilbar ist […], sondern überdies wirklich endlos weitergeteilt ist, jeder Teil wieder in Teile, von denen jeder eine ihm eigene Bewegung hat«. Wie man sieht, stellt diese Metaphysik die Dynamik der Natur in den Mittelpunkt, und eben diese Dynamik sucht Bredekamp im Garten auf.
Der Denker Gottfried Wilhelm Leibniz war ein entschiedener Gegner der Cartesischen Philosophie und ihres strikten, im Grunde ganz mechanischen Dualismus, der keinerlei Übergänge zwischen dem Körper und dem Geist akzeptieren wollte. Descartes folgerte unter anderem daraus, dass Tieren keine Seele zukäme, Leibniz dagegen erkannte animalische Aspekte auch in unserer eigenen Natur und gestand den Tieren ganz selbstverständlich eine Seele zu. Für seine Philosophie zentral ist die Annahme kleinster Perzeptionen, jede für sich nicht wahrnehmbar und deshalb unbewusst, aber gemeinsam eine Geräuschkulisse wie das Wellenrauschen oder eine andere Sinneswahrnehmung bildend, in welcher die einzelnen Perzeptionen untergehen.
Wo Descartes unüberwindbare Schranken postulierte, da hat Leibniz fließende Übergänge gesehen – das ist ein wesentlicher Aspekt seiner Modernität. Leibniz muss, so Bredekamp, von der Tatsache begeistert gewesen sein, dass die geometrische Gleichförmigkeit des Herrenhäuser Gartens eine Täuschung war: der Garten ist nämlich dem ersten Anschein entgegen keineswegs rechtwinklig angelegt, sondern seine Wege weichen um ein Weniges vom rechten Winkel ab, und auch damit, dass er Erwartungen enttäuscht, vermag der Garten den Geist in Unruhe zu versetzen und anzuregen. Bredekamp spricht von dem »stupor einer Natur, die sich als Summe verschachtelter Gärten darstellt«; diese Verschachtelung der Beete ist eine Konsequenz aus dem angesprochenen Paragraphen der »Monadologie«.
Den kleinsten Perzeptionen entsprechen die kleinsten, für sich nicht wahrnehmbaren Abweichungen in der Natur, die die Wahrnehmung, weil sie weniger gleichmäßig und durchgeformt ist, so viel lebendiger machen. Ja, eigentlich gewinnt eine Sinneswahrnehmung erst durch diese für sich kaum wahrnehmbaren Irritationen den Charakter des Lebendigen. So wirkt ein handgewebter Teppich lebendig, weil sich Farb- und Formgebung nicht stur und gleichmäßig durchhalten, und noch mehr ist dies der Fall, wenn wir der zitternden und flirrenden Natur gegenüberstehen, etwa dem Blätterdach eines Laubbaumes.
Am Beispiel eines Kupferstiches von 1725, der die messerscharf geschnittenen Hecken des Herrenhäuser Gartens abbildet, kann Bredekamp zeigen, was er meint: »Dem Stecher ist es mit nicht nachlassender Konsequenz gelungen, jede Art der Wiederholung zu vermeiden.« Jedes Blatt der Hecken sieht anders aus und veranschaulicht das Theorem der unendlichen Unterscheidbarkeit der Dinge. Auch der Zug der Wolken, die Vielfalt ihrer Formen und das unter ihnen sich stets verändernde Licht führen zu einer Verlebendigung der Wahrnehmung, wie Bredekamp, ausgehend von Lukrez, an Gemälden unter anderem von Andrea Mantegna demonstriert.
Das Abschlusskapitel widerlegt ebenso gelassen wie überzeugend eine Reihe von Vorurteilen über den Landschafts- und geometrischen Garten; weder ist der englische Garten einer libertären Tradition verpflichtet, noch ist der geometrische Garten absolutistisch. Bredekamp untersucht, wenn er diese Fragen diskutiert, die Begrenzungen der Gärten und ihren Übergang in die freie Landschaft bzw. ihre Einfügung in die Felder:
»Wie der geometrische Garten keinesfalls der Natur entgegengesetzt ist, so ist der Landschaftsgarten nicht ohne geometrische Konstruktion zu denken.« Auch ist es nicht wahr, dass der Landschaftsgarten das Publikum einlud, der geometrische Garten sich dagegen vom Pöbel abschloss, sondern in vielen Fällen ist das Gegenteil bezeugt, nicht zuletzt in Paris, wo die Tuilerien seit dem 16. Jahrhundert der Öffentlichkeit zugänglich waren.
Bredekamp hat in seiner Studie nicht nur als Kunsthistoriker gearbeitet, sondern Quellen gesichtet und ausgedeutet wie ein Historiker und vor allem die Geschichte des Gartens in die europäische Geistesgeschichte eingeordnet. Das schmale Buch besticht ebenso durch die Vielfalt der Perspektiven wie durch die bemerkenswerte Sorgfalt, die Autor und Verlag Text, Argumentation und den zahlreichen Illustrationen angedeihen ließen. Es ist eine meisterhafte Studie und höchst bemerkenswerte und anregende Lektüre, die unseren Blick auf die Geschichte des Gartens verändert. Zugleich lässt sie die Philosophie eines Leibniz in einer Weise lebendig werden, wie es einer rein philosophischen Untersuchung niemals hätte gelingen können. Ein großartiges Buch.