Wer war Uta von Naumburg? Die vorliegende Publikation bemüht sich um Antwort auf die Frage und zeichnet vor allem das Leben der Markgräfin und ihr Lebensumfeld nach. Darüber hinaus wird auch Utas Darstellung vom Naumburger Meister im Naumburger Dom erörtert. Ulrike Krenzlin hat sich der "Nofretete des Mittelalters" zugewandt.
Uta von Naumburg gilt als schönste Frau des Mittelalters. Fügen wir hinzu, dass dieses Schönheitsideal bis heute fasziniert. Die Markgräfin lebt im Bewusstsein der Menschen durch ihre eindrucksvolle Darstellung als Stifterfigur im Westchor des Naumburger Doms fort. Zum Ideal gleich die erste Einschränkung. Utas Bildnis steht in der Kunst- und Kalenderblattproduktion ganz oben. Reproduziert wird jedoch hauptsächlich ihr Gesicht. Die vollständige Gewandfigur erscheint oft nur im Kleinformat auf Rückseiten. Die verheiratete Frau trägt das Gebende, aus dem nur eine Lockensträhne hervorlugt und nach hinten ein Stück vom Zopf sichtbar wird. Ihr Mantelkragen verdeckt zusätzlich die linke Gesichtshälfte. Die goldene Krone auf dem Kopf ist tief in die Stirn hineingedrückt. Stellen wir fest: Uta von Naumburgs Strahlkraft in unsere Zeit geht wesentlich von ihrem Gesicht aus. Dem tragen die Autoren Michael Imhof und Holger Kunde in ihrer Publikation Rechnung. Die 70 Fotos im Buch sind vom Verleger aufgenommen bzw. aus dem Verlagsarchiv, allesamt Neuaufnahmen von restaurierten Zuständen. Zugleich sind sie Zeugnisse vom hohen Einfühlungsvermögen des Fotografen.
Doch wer war nun diese schöne Frau? Was geben mittelalterliche Schriftquellen über sie her? In welchem historischen Umfeld lebte Uta von Naumburg? Wer waren ihre Eltern und Geschwister? Welche Rolle spielte Uta als Markgräfin von Meißen und als Gemahlin Eckehard II., Markgraf von Meißen? Was ist Neues über die Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Domes St. Peter und St. Paul zu erfahren? Welche Lebensgeschichte lässt sich über Uta von Naumburg aus den neuesten Forschungsergebnissen erstellen? Diese Fragen haben Imhof keine Ruhe gelassen. Ist er doch der leidenschaftliche Verleger mit Spezialinteresse. In seinem Verlag erschien bereits 2011 der Katalog zur großen Landesausstellung »Der Naumburger Meister, Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen«. Der Kurator der damaligen Ausstellung und Koautor des aktuellen Uta-Buchs sowie Archivar Holger Kunde hat aus dem Naumburger Domstiftsarchiv vier Urkunden gehoben, die Auskunft geben über die historische Person Uta von Ballenstedt, Markgräfin von Meißen.
Der älteste Fund ist eine Zeitzeugen-Urkunde von 1248 aus dem Naumburger Domstiftsarchiv. Das Pergament dient der Memoria. Erinnert wird darin an die Stifterin Uta von Naumburg, Gemahlin Eckehards II. und Markgräfin von Meißen in Bezug auf ihre außerordentlichen Verdienste als Stifterin und Förderin des romanischen Domes St. Peter und St. Paul (1029). Bischof Dietrich II. und das Domkapitel von Naumburg fordern im Jahr 1249 in Erinnerung an seine erste Stifterin Geistliche und Gläubige ohne Ansehen des Geschlechts auf, den Neubau (Westchor) zu unterstützen. Versprochen werden neuen Stiftern dieselben Privilegien wie sie der Erststifterin noch immer zukommen. Für gute Werke, Wohltätigkeit und Stiftungen wird ihnen Sündenerlass versprochen, das heißt, die Verweildauer im Fegefeuer messbar verkürzt. Die von der Markgräfin vorausbezahlten Messen und liturgischen Feiern kommen sofort auch jedem Neustifter zugute. Weiterhin finden die Neustifter Aufnahme in die Serviten-Bruderschaft. Von dieser Gemeinschaft wird zuverlässige Memoria geleistet. Hinter der Argumentation des gebildeten Theologen Bischof Dietrich II. steht die Hochscholastik des frühen 12. Jahrhunderts. Mit dieser Lehrmethode der philosophischen Theologie wird vom Autor erklärt, weshalb die Stifter, die 1029 den romanischen Dom errichten ließen, nach 200 Jahren von neuen Stiftern ungewohnt geehrt werden und weshalb sie im westlichen Chor des Doms eine Sonderstellung erhalten, der sonst ausschließlich Heiligen, Propheten des alten Bundes, Aposteln oder Jesus Christus und Maria vorbehalten ist. Erst dieser scholastische Kontext kann die hohe Stellung der Uta von Naumburg und der anderen Stifter erklären. Diese Kontextualität fehlt in kunsthistorischen Abhandlungen.
Die zweite Quelle zur Person Utas gibt Auskunft über ihren Todestag. Die Urkunde ist gehoben aus dem Einkünfte- und Servitenverzeichnis der Naumburger Dompropstei, fol. 65v-66r des Jahres 1367. Es heißt da: »Ebenso verstarb an den 10 Kalenden des November (23. Oktober) die Markgräfin Uta und es soll eine Kerze genommen werden…«. Es liegt der Beweis vor, dass die Memoria tatsächlich bis auf den Tag funktionierte. An ihrem Todestag wird der Markgräfin eine wertvolle Kerze gespendet. Zu dieser Memoria gehört liturgisches Programm. In der Urkunde fehlt jedoch das Todesjahr der Stifterin. Es steht bis heute nicht fest. Historiker müssen das Todesjahr weiterhin antequem oder postquem festlegen. Imhof/Kunde setzen das Geburtsjahr 1000 fest, das Sterbejahr auf den 23. Oktober 1045.
Die dritte Quelle zu Uta ist nachreformatorisch, von 1670. Sie stammt aus Nekrologenauszügen der Naumburg-Zeitzischen Stiftschronik. Der Autor verwendet ältere Quellen aus dem 11. und 12. Jh. Behandelt wird die Grablege von Uta. Ihre erste Bestattung erfolgte in der frühromanischen Domkirche. Später ist die Grablege in den romanischen Dom transloziert worden.
So wenig sensationell das Quellenmaterial erscheint, es ist entscheidend für die weitere Forschung. Zusammenfassen lässt sich folgendes: Uta von Ballenstedt stammt aus einer hohen Adelsfamilie, die in Ballenstedt ihre Burg hatte. Die Familie kam aus dem Suebengau und gehörte zur Führungsschicht um den Kaiserhof. Diese umfasste 200 bis 300 Personen. Uta erfuhr eine gute Ausbildung, wohl im Kloster Gernrode, in dem sie ab dem 6. Lebensjahr Lesen, Schreiben und Umgangsformen lernte. Sie heiratete außergewöhnlich spät. Erst um 1026. Kinder hinterließ sie nicht. Sie starb früh, um 1045, ihr Gemahl Eckehard II. 1046. Utas Mitgift ging an das Kloster Gernrode. Ihr Besitzstand aus dem Nachlass ihres Gemahls ging wegen Kinderlosigkeit an König Heinrich III. Stiftungen an Naumburg kamen auch aus diesem Nachlass, wurden aber vom Kaiser an Naumburg gegeben.
Bleibt die Frage, wieso der Naumburger Meister von dieser Stifterin, die er weder kannte, von der er kaum etwas erfahren konnte, ein derart schönes Bildnis schaffen konnte. Auch diese Frage gründet im scholastischen Denken. Zu den Grundsätzen der Lehre gehört die Vorstellung, dass Gott sich den Menschen als vornehmstes Lebewesen zum Ebenbild geschaffen hat. Schönheit in diesem Sinn zu gestalten war also eine Herausforderung und eine Frage der künstlerischen Umsetzung. Der Naumburger Meister, in jedem Fall hoch gebildet, hat diese Lehre an ihrer Quelle, den Orten der französischen Kathedralen kennen gelernt.