»Himmelwärts« lautet der wirklich hübsche Titel der hier von Stefanie Lieb vorgelegten »Geschichte des Kirchenbaus«, welche die Autorin, Dozentin für Kunstgeschichte, von Kapitel I: »Die Anfänge: Spätantike und frühes Christentum« bis hin zu Kapitel VI: »Suche nach Spiritualität: von der frühen Moderne bis heute« chronologisch durchschreitet. Unsere Rezensentin Ursula Siepe hat das Buch gelesen.
Auf 160 Seiten, die zur Hälfte die gut 100 – in ihrer Qualität mitunter sehr unbefriedigenden – Farbabbildungen, ebenso viele Grundrisse sowie ein Anhang mit Literaturverzeichnis und Glossar einnehmen, werden, wie die Autorin einleitend erklärt, »die Entwicklungsstränge dieses Bautyps ›Kirche‹ zusammenfassend nachgezeichnet, in einen jeweiligen kulturhistorischen Zusammenhang gestellt und exemplarisch durch bedeutende Sakralbauten veranschaulicht«. Selbstbewusst annonciert der Pressetext des Seemann-Verlags dieses Unternehmen als den »erste[n] Text-Bild-Band zur Historie des Kirchenbaus, in dem nicht nur die Baugeschichte, sondern auch die Ideenwelt hinter dieser Architektur geschildert wird«.
Das sind freilich höchste Ansprüche, an denen sich das Projekt messen lassen muss. Und leider ist – sehr vorsichtig – zu sagen, dass das Buch diese Ansprüche nur in sehr engen Grenzen erfüllt. Sehen wir einmal von den vielen sprachlichen Insuffizienzen im Einzelnen ab, so lassen sich die hauptsächlichen Unzulänglichkeiten folgendermaßen benennen:
Der »jeweilige kulturhistorische Zusammenhang«, von dem die Autorin spricht, bzw. die »kulturhistorische Ideenwelt hinter [der] Architektur« (Umschlagstext), stellt sich, je länger und geduldiger man liest, dar als ein wahlloses, in seiner erkenntnisleitenden Systematik niemals transparent werdendes Ansprechen architekturexterner Momente, die in aller Regel nur schlagwortartig auf den erwartungsvollen Leser niederregnen: Mal handelt es sich um Liturgiegeschichtliches (Tauf- und Messrituale), mal um religionsgeschichtliche Aspekte (Reformation, Konzilien), mal um säkularhistorische Fakten (Völkerwanderung, Französische Revolution) und mal um philosophiegeschichtliche Strömungen (Scholastik, Aufklärung).
# Page Separator #
Verwundert fragt sich der interessierte Leser, der unter dem Titel »Himmelwärts« substantielle Ausführungen zur gotischen Kathedrale erwarten darf, warum zwar der Name Otto von Simson (allerdings nur im Literaturverzeichnis) zu finden ist, nicht aber Erwin Panofsky und Hans Sedlmayr. Eine Diskussion über die Frage »Gibt es eine ›Theologie der gotischen Kathedrale‹?« (Christoph Markschies, 1995) findet nicht statt; und das ist symptomatisch für die konstitutive Theoriearmut des hier zu besprechenden Buches.
Bald also fragt man sich, was der Zweck des Buches ist oder welches Publikum die Autorin im Auge hatte, und gelangt schließlich zu der Vermutung, dass diese Publikation aus einer Lehrveranstaltung für (Bachelor-)Studierende der Kunstgeschichte in frühen Semestern hervorgegangen ist. Denn Lieb wahrt durchaus – wohl im Hinblick auf reproduzierbares Prüfungswissen – streng das fachterminologisch gebotene Deskriptionsniveau (z. B. bei der Beschreibung von Bautypen: Basilika vs. Hallenkirche, Langhaus vs. Zentralbau; Säulenordnungen; Bauornamentik). Die einzelnen Stilepochen werden mit lehrbuchartiger Routine mitsamt ihren Hauptdenkmälern und Baumeistern/Architekten aufgelistet, so dass ein Student glauben könnte, nach der Lektüre wohlgerüstet in die Prüfung zu gehen. – Wäre da nicht, und das ist leider auch anzumerken, selbst in diesem Belang eine Reihe von Ungenauigkeiten, ja Fehlern, zu registrieren. Konfusion erzeugt Lieb, wenn sie gleich im ersten der dem Text eingefügten »Infokästen«, die laut Klappentext »prägnante Zusatzinformationen« vermitteln sollen, den Jerusalemer Felsendom zum Vorbild der Hagia Sophia in Konstantinopel erklärt, die nach ihren eigenen Angaben anderthalb Jahrhunderte früher errichtet wurde. Der Felsendom sei auch Vorbild der Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen, die dann aber wiederum auf San Vitale in Ravenna zurückgehe. (Dass sie hier die höchst umstrittenen Entwicklungslinien der »dunklen Jahrhunderte« einerseits simplifiziert, andererseits wieder verwirrt, indem sie eine vorromanische Architektursprache postuliert, aber nicht exemplifiziert, sei nur am Rande vermerkt.)
# Page Separator #
Voller Fehler ist Kapitel IV (»Antiker Geist und inszenierter Glaube: Renaissance und Barock«): Selbst dem flüchtigsten Leser wird auffallen, dass in dem folgenden Satz, in dem es um die Errichtung des Petersdoms geht, schon zeitlich etwas nicht stimmen kann: »Tiefgreifende und eigenständige Planänderungen konnte jedoch erst Michelangelo Buonarroti durchführen, der 1546 [recte 1547] als 71-Jähriger unter Papst Paul II. (reg. 1464-1471) die Bauleitung übernahm.« Natürlich war es Papst Paul III. (1534-1549), der Michelangelo beauftragte. Katastrophal wird es, wenn es um die römischen Kirchennamen geht: Santa Maria in Montesanto wird zu »Santa Maria in Mosanto» oder San Carlo alle Quattro Fontane wird zu »San Carlo alla Quattre Fontane«. Und dann wird Borrominis Kollege Carlo Rainaldi zu »Rainaldo«.
Jenseits des rein Fachspezifischen, von dem also, was man vielleicht einmal »allgemeinen Bildungshintergrund« nannte, scheint Stefanie Lieb nicht einmal rudimentäre Kenntnisse voraussetzen zu wollen. So beispielsweise meint sie, den »Investiturstreit« eigens erklären zu müssen, tut das aber in einer Manier, die dem Kenntnislosen nichts sagt und den Gebildeten ärgert: »Die Ära der Salier endete 1125 mit Heinrich V., u.a. auch als Folge des Investiturstreits, einer grundlegenden Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst.« Warum mutet sie im Kapitel über »Klosterzellen und Kaiserdome: Romanik« dem Leser nicht wenigstens eine Andeutung der Gründe des damaligen Zwists zwischen Sacerdotium und Imperium zu? Warum fällt nicht einmal das Wort »Canossa«?
Dem Kinderfunk scheint sie den Ton abgelauscht zu haben, mit dem sie (Kapitel V: »Aufklärung, Revolution und Rückbezug: Klassizismus und Historismus«) das »Zeitalter der Klassik« einführt, »das durch die Dichtergrößen eines Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805) und die Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Ludwig van Beethoven (1770-1827) den Kanon von bis heute gültigen, zeitlos wirkenden Werken entstehen ließ.« Wer auf diese Weise mit einer Leserschaft kalkuliert, der man sagen muss, wann Goethe und Mozart gelebt haben, der mag sich dann auch dem Schicksal fügen, Kants Aufklärungspostulat vom »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« im geläufigen Jargon der Bildungsferne rezipientenbeflissen als »These« verniedlichen zu müssen.
# Page Separator #
Zum Ende wird es kaum besser: In den beiden letzten Kapiteln diskutiert die Autorin auch das Widerspiel von katholischer und protestantischer Auffassung des Kirchenbaus besonders im deutschsprachigen Raum. Zu Recht weist die Autorin auf die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils für den katholischen Kirchenbau hin und widmet diesem Ereignis einen der »Infokästen«. Dieser jedoch ist wiederum voller Faktenfehler, sprachlicher Verwirrnisse und unscharfer Terminologie.
Insgesamt ist leider zu sagen, dass Stefanie Liebs Buch »Himmelwärts« enttäuscht. Man hätte ihm nicht allein eine bessere Bildredaktion, sondern vor allem ein besseres Lektorat gewünscht.