Im 19. Jahrhundert findet eine grundlegende Veränderung in der Malerei statt: Viele Künstler verlassen den gegenständlichen Malstil und wenden sich der Abstraktion zu. Oft ist diese Veränderung mit der Erfindung der Fotografie in Zusammenhang gebracht worden. Doch es gibt auch Wissenschaftler, die die Gründe vor allen Dingen bei einer veränderten Weltanschauung zu finden glauben. Gerade ist diese Zeit wieder Gegenstand aktueller Kunst- und Theaterproduktionen. Eine Multimedia-Ausstellung in Berlin zeigt die unterschiedlichen Stile in der Malerei von Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, die Ruhrtriennale inszeniert Dramen des Naturalismus und Symbolismus und eine Ausstellung in der Galerie Ludorff in Düsseldorf zeigt abstrakte Positionen, angefangen bei dem Bauhaus-Künstler Josef Albers bis in die Gegenwart. Susanne Braun ist den Wegen in die Abstraktion gefolgt.
Sie sind für sich genommen schon Kunstwerke, die 16 kurzen Filme der Multimedia-Ausstellung »Von Monet bis Kandinsky. Visions Alive«. Bei jedem Film wird ein Porträtfoto des jeweiligen Künstlers in eine Ecke projiziert und mit einem Zitat versehen. Die Werke lernt der Besucher über ein ausgetüfteltes Spiel aus Bildausschnitten sowie animierten Farben und Formen kennen. Monets gemaltem Spiel von Licht und Schatten etwa verleihen die Animationen noch mehr Lebendigkeit, als schon auf der Leinwand zu sehen ist. Darüber hinaus wird in vielen Fällen durch das Ineinanderfließen verschiedener Motive besonders deutlich, wie sich abstrakte Bildelemente aus gegenständlichen Darstellungen ergeben haben müssen. Bei Mondrian beispielsweise tanzen die für seinen Malstil typischen geometrischen Formen mit den streng geraden Linien über die sieben Meter hohen Wände, auf die alle Filme projiziert werden und demonstrieren so deren Gestaltungsreichtum. Die Musik, mit der alle Filme unterlegt sind, macht die Ausstellung zu einem informativen und unterhaltsamen Gesamtkunstwerk zugleich. Sie widmet sich den bedeutendsten Vertretern der Klassischen Moderne von Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit fanden grundlegende Brüche in der künstlerischen Darstellung statt. Viele bildende Künstler wandten sich von der realistischen Malerei ab und arbeiteten mehr und mehr abstrakt. Außerdem wurde die Kunst interdisziplinärer, wie insbesondere die symbolistische Strömung; aber auch im Falle der de Stijl- und Bauhaus-Bewegung arbeiteten bildende Künstler, Designer, Bildhauer und Architekten nun zusammen.
Die Gründe dafür sind in Bezug auf die Malerei oft in der Erfindung der Fotografie gesehen worden, die seit Ende des 19. Jahrhunderts mit größerer Perfektion die Abbildung der Realität übernehmen konnte. Der Lyrik-Experte und Romanist Hugo Friedrich etwa sieht jedoch die Gründe an ganz anderer Stelle. In »Die Struktur der modernen Lyrik« stellt er dar, dass es die Lyrik und damit die Sprache ist, die erste Impulse für eine Weltanschauung gegeben hat, die das Mysterium in ihrer Ausdrucksweise betont. Stellten Realismus und naturalistische Kunst noch den Alltag und die Folgen der Industrialisierung schonungslos zur Schau, positionieren sich abstrakt arbeitende Künstler antithetisch zum Positivismus und betonen das Unverständliche, Dunkle, die Magie und das Mysterium des Alltäglichen. Friedrich attestiert der Lyrik des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, dass sie den Trost, den noch die romantische Poesie dem Leser als »Sprache des Gemüts« bieten konnte, verweigert: »Der Begriff des Gemüts deutet auf Entspannung durch Einkehr ins Vertraute, in einen seelischen Wohnraum, den auch der Einsamste mit allen teilt, die zu fühlen vermögen. Eben diese kommunikative Wohnlichkeit ist im zeitgenössischem Gedicht vermieden«. Lyrik erzeuge dadurch eine Schockwirkung beim Leser, der in dieser Hinsicht sogar »Opfer« werde.
Einer der wichtigsten Vertreter der modernen Lyrik, Arthur Rimbaud, reagiere damit auf seine Erfahrungen im Alltagsleben in den Städten der Industriellen Revolution, die anonym seien und »alles Vertraute verloren« hätten. Wichtigstes Stilmittel dabei sei der Bruch mit der Tradition, sowohl auf inhaltlicher als auch formeller Basis. Rimbaud etwa mache keinen grundlegenden Unterschied mehr zwischen schön und hässlich oder wahr und falsch. Oft seien die Werke nicht mehr von ihrem Sinn her zu verstehen. Der Sinn dieser Poesie könne etwa die evozierte, aber letztlich nicht entschlüsselbare Bilderflut sein oder dass der Klang der Sprache an die Stelle der inhaltlichen Bedeutung trete. Friedrich sieht dabei enge Parallelen zur abstrakten Malerei der Epoche: »Wie in der modernen Malerei das autonom gewordene Farben- und Formengefüge alles Gegenständliche verschiebt oder völlig beseitigt, um nur sich selbst zu erfüllen, so kann in der Lyrik das autonome Bewegungsgefüge der Sprache, das Bedürfnis nach sinnfreien Klangfolgen und Intensitätskurven bewirken, dass das Gedicht überhaupt nicht mehr von seinen Aussageinhalten her zu verstehen ist«. Arthur Rimbaud, wie vielen anderen Dichtern dieser Zeit, waren die Ähnlichkeiten zwischen Poesie und Malerei durchaus bewusst. Von Rimbaud ist die Äußerung überliefert: »Wir müssen der Malerei ihre alte Gewohnheit des Kopierens austreiben, um sie souverän zu machen. Statt die Objekte zu reproduzieren, hat sie Erregungen zu erzwingen, mittels der Linien, der Farben und der aus der äußeren Welt bezogenen, jedoch vereinfachten und gebändigten Umrisse: eine echte Magie«. Für Friedrich ist damit sogar, genauso wie in Rimbauds literarischem Schaffen, »die moderne Malerei vorweggenommen«.
Die erste richtig interdisziplinäre Kunstströmung ist jedoch der Symbolismus. Hier arbeiteten erstmals verschiedene Kunstrichtungen auf derselben oder zumindest einer ähnlichen theoretischen Grundlage. Darüber hinaus ist der Symbolismus die erste Gattung, bei der es auf europäischer Ebene deutlich erkennbare gegenseitige Beeinflussungen gab. Allerdings gab es in verschiedenen Regionen unterschiedliche Ausprägungen, bedingt durch die dortigen kulturgeschichtlichen Gegebenheiten. Anita Kolbus erklärt diesen Sachverhalt in ihrem Buch »Maeterlinck, Debussy, Schönberg und andere: ›Pelléas et Mélisande‹. Zur musikalischen Rezeption eines symbolistischen Dramas« in Bezug auf Belgien folgendermaßen: »Der Symbolismus in Belgien war eine erste frühe Moderne-Bewegung. In dieser Avantgarde vereinigten sich auch die sonst getrennten Volksgruppen Belgiens; sie war ein Versuch, eine einheitliche ›âme belge‹, eine gemeinsame ›junge Kunst‹ zu schaffen. (…) Die jungen belgischen Autoren knüpften an die Ideale der französischen symbolistischen Lyrik an und übertrugen diese auf andere Literaturgattungen wie Drama oder Roman.«
Prominentester Vertreter des belgischen Symbolismus ist der vor allen Dingen als Dramenautor bekannte Maurice Maeterlinck. Er war Teil des Kreises um den Franzosen Stéphane Mallarmé, der als Wegbereiter der modernen Lyrik gilt und dessen Werke zu den Hauptwerken des Symbolismus zählen. Laut Hugo Friedrich ist vor allen Dingen die »Dunkelheit« der Lyrik kennzeichnend für Mallarmés Stil, hervorgerufen durch eine Sprache, die nur dieser eine Dichter spricht. Seine Lyrik stehe in einem Zusammenhang, der sich von den Romantikern über Rimbaud bis hin zu ihm verfolgen ließe. Zu den Merkmalen seiner Werke zählen für Friedrich: »Fehlen einer Gefühls- und Inspirationslyrik; intellektuell gesteuerte Phantasie; Vernichtung der Realität und der logischen wie affektiven Normalordnungen; Operieren mit den Impulskräften der Sprache; Suggestivität statt Verstehbarkeit; Bewusstsein, einer Spätzeit der Kultur anzugehören; zwiefaches Verhältnis zur Modernität; Bruch mit der humanistischen und christlichen Überlieferung; Vereinsamung, die sich als Auszeichnung weiß; Ranggleichheit von Dichten und Reflexion über das Dichten, wobei in der letzteren die negativen Kategorien überwiegen«. So ist Mallarmés »poésie pure« nicht unbedingt von der inhaltlichen Ebene her zu verstehen. Bei ihm überwiegt vielfach die Klangebene beziehungsweise die Musikalität der Sprache. Manchmal spielt auch die optische Anordnung der Worte eine wichtige Rolle, wie etwa in dem berühmten Gedicht »Un coup de dés jamais n’abolira le hasard«.
Laut Anita Kolbus hatte Mallarmé einen entscheidenden Anteil an dem Erfolg Maeterlincks. Er sei von Mallarmé zum »offiziellen Dramenautor« der Symbolisten gekürt worden. Vorher habe Mallarmé die enthusiastische Kritik des Erstlingsdramas »La princesse Maleine« im Figaro vom 24.8.1890 angeregt, wo Maeterlinck sogar mit Shakespeare verglichen worden ist. Damit war offenbar der Grundstein für Maeterlincks Ruhm als Dramenautor gelegt. Tatsächlich war er in seinem Schaffen ein besonders treuer Schüler Mallarmés: »Diese Erweiterung des Symbolismus war im Grunde nichts anderes als die Umsetzung der Ideen und Theorien Mallarmés. Das gilt vor allen Dingen für das Drama«. Zu den Grundideen Mallarmés für ein symbolistisches Drama gehören nach den Recherchen von Anita Kolbus: »Ausdruck des Innenlebens, état d’âme«, »Ausdruck des verborgenen Mysteriums«, »Sprache des Dramas: eher Lyrik als Prosa, suggestiv, evozierend statt deskriptiv«, »De-Theatralisierung der Bühne, einfachste Elemente, wenig Requisiten« sowie die »Vereinigung aller Künste im Theater«.
Maeterlincks Drama »Pelléas et Mélisande« gilt als Prototyp des symbolistischen Dramas. Es hat eine märchenhafte Rahmenhandlung als Grundausstattung: Golaud hat sich auf einer Reise im Wald verirrt und begegnet Mélisande an einem Brunnen. Mélisande weint und vertraut ihm an, dass ihr jemand weh getan habe. Golaud bietet ihr Schutz an und nimmt sie als seine Frau mit auf sein Schloss. Dort ist sie aber nicht glücklich und nur Golauds Bruder Pelléas kann sie aufheitern. Golaud erschlägt diesen daraufhin aus Eifersucht. Mélisande ist davon so erschüttert, dass sie auch stirbt.
Die tragische Konstellation ist laut Anita Kolbus typisch für die frühen Dramen Maeterlincks. Der Gedanke, dass der Mensch sein Schicksal nicht beeinflussen und ihm nicht entrinnen kann, findet sich auch in der mittelalterlichen Mystik und bei den im katholischen Frankreich häretisch verfolgten Glaubensrichtungen Jansenismus und Calvinismus. Von den Vorstellungen der Jansenisten und Calvinisten waren bedeutende Schriftsteller und Gelehrte Frankreichs geprägt, darunter Jean Racine oder Blaise Pascal. Das Prinzip des unausweichlich unschuldig-schuldig-Werdens der Tragödie entspricht sicherlich auch in den Grundzügen dieser Weltanschauung. In Maeterlincks Drama sind die Protagonisten laut Anita Kolbus »zu Angst erstarrte Opfer«, die nicht einmal verstehen »warum ihnen etwas zustößt«. Das lässt sich vor allen Dingen an ihrer Sprache ablesen: »Die Sprache drückt dies durch stammelnde Wiederholungen, Unterbrechungen, Schweigen, primitiven Satzbau und Rückgriffe auf sprachliche Primärelemente aus (…). Wesen, die so sprechen, beherrschen die Situation nicht«. Die Protagonisten zeigen so ihre Angst aus und erzeugen gleichzeitig Horror bei den Zuschauern.
Zu Maeterlincks Drama »Pelléas et Mélisande« gibt es mehrere Vertonungen. Claude Debussys musikalische Interpretation ist die bekannteste. Debussy gelang mit dieser Oper der Durchbruch als Komponist. Laut Kolbus ist Debussys Musikstil von der Auseinandersetzung mit symbolistischer Literatur geprägt: »Debussys Musikdenken ist von der ihn umgebenden Literaturästhetik geprägt (der Mallarmé-Symbolismus), sein Musikstil entwickelte sich unter anderem in Auseinandersetzung mit literarischen Werken«. Debussy selbst soll in mehreren Interviews gesagt haben, dass die Musik aus seiner Sicht dort beginne, wo das Wort endet. Sie soll das »Irreale evozieren« und gehört damit prinzipiell zur »Welt der Illusion und des Traumes«.
Im 19. Jahrhundert galten sowohl das naturalistische Theater als auch das symbolistische Drama als Avantgarde-Theater. Im Rahmen der Ruhrtriennale 2017 sind Stücke sowohl nach Vorlage des Naturalisten Emile Zola als auch der symbolistischen Oper »Pelléas et Mélisande« von Maeterlinck/Debussy aufgeführt worden. Der Belgier Luk Perceval hat die Stücke »Liebe+Geld+Hunger. Trilogie meiner Familie« auf die Bühne gebracht, die auf Zolas zwanzigbändigem Romanzyklus über die Familie der Rougon-Macquarts basieren. Der Romanzyklus gilt als eines der wichtigsten Werke des Naturalismus. Zola beschreibt schonungslos und aus verschiedenen Perspektiven die Lebensverhältnisse im Frankreich des 19. Jahrhundert. Die Spannbreite reicht von dem an der Vererbungslehre forschenden Gelehrten Doktor Pascal über die Luxus-Prostituierte Nana bis hin zu dem Elend der Bergarbeiter zu Beginn der Industrialisierung.
Georg Lukàcs hat Zola in »Die Theorie des Romans« vorgeworfen, er maße sich an, »das Leben seiner Gegenwart vollständig zu begreifen«. Interessanterweise gerät auch die Inszenierung des Belgiers Luk Perceval eher symbolistisch als naturalistisch. Ohnehin folgt Perceval der Romanvorlage nicht bis ins Detail, sondern zeigt eigene Varianten der bekannten Motive. Im Mittelpunkt der Trilogie stehen die Schicksale mehrerer Frauen wie das der Wäscherin und Mutter Gervaise, das der Luxus-Prostituierten Nana oder der in einem der ersten großen Kaufhäuser angestellten Verkäuferin Denise. Dabei scheint eine Chronologie erkennbar, die sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur Industrialisierung deckt. War im Falle von Gervaise die Geldbeschaffung und Versorgung der Familie noch eine gemeinschaftliche Angelegenheit, sind Nana und die Verkäuferin Denise vollkommen auf sich gestellt. Vor allen Dingen Nana ist gezwungen, sich von reichen Gönnern aushalten zu lassen, wohl nicht zuletzt, weil ihr ein geregeltes Einkommen verwehrt bleibt. Die Arbeit im Bergwerk reduziert die Menschen fast vollkommen zu einem winzigen Zahnrad in der riesigen Produktionsmaschinerie. Sie können sich eine Heirat oft nicht mehr leisten und ihre Arbeit macht viele krank. Erst ein erfolgreicher Aufstand versetzt die Arbeiter in die Lage, sich mit dem Nötigsten versorgen zu können.
In der Inszenierung Luk Percevals laufen mehrere Handlungsstränge parallel. Sie unterbrechen, ergänzen und erhellen sich gegenseitig in erstaunlicher Weise. Oft wirken die vielen Handlungsfragmente wie Symbole, die es zu entschlüsseln gilt. All das ist eher typisch für den Symbolismus, als für den Naturalismus der Romanvorlage Zolas. Offenbar haben sich hier beide Strömungen vereint und es ist ein Theaterstück entstanden, das nicht nur oft zwischen Komödie und Tragödie wechselt, sondern vielfach auch an Inszenierungen des Volkstheaters erinnert.
Die Inszenierung der Oper »Pelléas et Mélisande« von Krzysztof Warlikowski wirkt hingegen eher naturalistisch. Die märchenhafte Magie der Oper aus der Feder von Maeterlinck/Debussy bleibt vorwiegend auf der sprachlichen Ebene erhalten. Den Wald ersetzt Warlikowsky durch eine Bar mit einem Fernseher. Alles ist hell erleuchtet. Auch die große Leinwand im hinteren Bereich der Bühne, die immer wieder riesige Nahaufnahmen der Schauspieler zeigt, lässt keine mystisch-märchenhafte Stimmung entstehen. Den Grundprinzipien des symbolistischen Dramas folgt der Regisseur dennoch zum Teil, indem er beispielsweise alle Männer als machtlos in Hinblick auf ihr dunkles Begehren zeigt. Mélisande hingegen ist das Opfer, auf dessen Bedürfnisse niemand Rücksicht nimmt. Sie wird von ihrem Mann misshandelt, auch weil die anderen männlichen Familienmitglieder nicht aufhören, sie zu bedrängen. Gerade Pelléas scheint seinen älteren Bruder regelrecht herausfordern zu wollen, indem er sich um dessen Frau bemüht. Sein Tod wirkt viel mehr als Konsequenz seiner Provokation als der Mélisandes, die es nicht schafft, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Letztlich scheint die meisten Protagonisten dieses Stücks aber doch in erster Linie ihr eigener Egoismus in Bedrängnis zu bringen.
Die Musik Claude Debussys in der Interpretation des musikalischen Leiters Sylvain Cambreling spielt für die Inszenierung eine wichtige, aber auch zurückhaltende Rolle. Sie ist nicht dominant, sondern dringt während der Vorstellung nur manchmal in das Bewusstsein. Dennoch kommentiert sie die Handlung, indem sie etwa den Eindruck verstärkt, dass gerade etwas sehr aufwühlendes, heiteres oder gefährliches auf der Bühne zu sehen ist. Damit erfüllt sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur auf ganzer Linie die Erwartungen ihres Komponisten Debussy, sondern nimmt darüber hinaus auch ein wenig den Kompositionsstil der Musik für das spätere Massenmedium Film vorweg.
Der Einfluss Maurice Maeterlincks auf den Bauhaus-Künstler Wassily Kandinsky ist nachgewiesen. Anita Kolbus zeigt, dass Maeterlinck Kandinsky nicht als »Sujet-Anregung für Bilder«, sondern als interessanter Kunsttheoretiker galt. Er erwähnte Maeterlinck in »Über das Geistige in der Kunst« (1912) namentlich und ließ sich offensichtlich von seiner Verwendung der Sprache inspirieren: »Das Hauptmittel von Maeterlinck ist die Anwendung des Wortes. Das Wort ist ein innerer Klang. Dieser innere Klang entspringt teilweise (vielleicht hauptsächlich) dem Gegenstand, welchem das Wort zum Namen dient. Wenn aber der Gegenstand nicht selbst gesehen wird, sondern nur sein Name gehört wird, so entsteht im Kopf des Hörers die abstrakte Vorstellung des dematerialisierten Gegenstands, welcher im ‚Herzen‘ eine Vibration sofort hervorruft«. Anregungen Maeterlincks hat Kandinsky sogar in seinem Drama »Der gelbe Klang« (Blauer Reiter) verarbeitet.
Auch Kandinsky wollte ebenso wie Rimbaud, Mallarmé, Maeterlinck und Debussy eine Art der Wahrnehmung und Sicht auf die Welt zeigen, die jenseits der damals gängigen Bildkomposition und -sprache liegt. Dabei kommt die Inspiration für seine Gemälde nicht nur aus dem Gefühl. In seinem Bild »Komposition IV« ist er etwa bemüht, die Perspektive so verschwommen zu gestalten, wie sie im russischen Dampfbad erscheint: »Hier schäumt die rosa und weiße Farbe so, dass sie weder auf der Fläche der Leinwand zu liegen scheint noch auf irgendeiner idealen Fläche. Sie ist vielmehr in der Luft schwebend und sieht wie von Dampf umgeben aus. Solche Abwesenheit der Fläche und die Unbestimmtheit der Entfernung kann man z.B. im russischen Dampfbad beobachten. Der im Dampf stehende Mensch ist weder nahe, noch weit; er ist >irgendwo<. Dieses >Irgendwo< des Hauptzentrums bestimmt den inneren Klang des ganzen Bildes«. Kandinskys Malerei ist von vielen Seiten her beeinflusst worden, beispielsweise von der russischen Ikonenmalerei oder von zeitgenössischen Malern wie Paul Cézanne sowie Künstlern des Expressionismus, aber eben auch durch Prosa, Lyrik oder Musik.
Einen etwas anderen Weg schlug etwa Josef Albers ein, der wie Kandinsky Professor am Bauhaus war. Seine Werke sind Teil der Ausstellung »Cutting Edge«, die in der Galerie Ludorff in Düsseldorf zu sehen ist. Auch er experimentiert mit Farben und hoffte, dabei etwas über die Wirkung der Farben auf die Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten der Menschen zu erfahren. Doch anders als Kandinsky gestaltet er seine Bilder dabei streng geometrisch mit messerscharf gezogenen Linien. Insgesamt scheint er vielmehr von Künstlern wie Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian und der de Stijl-Bewegung inspiriert zu sein. Die in der Galerie Ludorff ausgestellte Serie widmet sich der Figur des Quadrats, sicherlich inspiriert durch das berühmte »Schwarze Quadrat« Malewitschs. Auf den Gemälden Albers‘ finden sich allerdings, anders als bei Malewitsch, immer mehrere konzentrisch angeordnete Quadrate. Nur die Farbgebung variiert von Bild zu Bild und legt unterschiedliche Eindrücke desselben Motivs nahe. Beispielsweise sorgt die Wahl eines dunkleren oder helleren Farbtons jeweils für eine ganz andere räumliche Wahrnehmung der Quadrate. Kay Haymer, Leiter für Moderne Kunst im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, attestiert Albers im Katalog zur Ausstellung eine »expressive Ebene« bezüglich seiner Farbwahl, was ihn doch wieder in die Nähe Kandinskys rücken lässt. Albers sei es überzeugend gelungen, die »Vielseitigkeit von Farbwirkungen« zu verdeutlichen. Haymer betont, dass Albers seine Schüler dazu angeregt habe, auf Basis seiner Farbenlehre eigene Wege zu beschreiten. Darin sieht er den Grund, warum sein Einfluss auf berühmte Schüler wie Eva Hesse oder Richard Serra nicht immer ganz offensichtlich ist seine Lehre gerade nicht wie Albers selbst »im Feld der Farbwirkungen« angewendet hätten.
Auch Winfried Gaul, ein weiterer Künstler der Ausstellung, arbeitet mit geometrischen Formen und streng geraden Linien. Die Varianten in Farben und Form dieser Werke erinnern an die umherwirbelnden Bildelemente, mit denen in der Multimedia-Ausstellung »Von Monet bis Kandinsky. Visions Alive« die Arbeitsweise Piet Mondrians spielerisch vorgestellt wird. Gaul hat sich dabei nicht nur einer Form oder Farbe verschrieben, sondern erforscht laut Haymer deren »unterschiedlichste Verzweigungen«. In seiner Kunst finden etwa auch »Verkehrszeichen und Signale« einen Platz. Die Bilder erinnern oft an bekannte Verkehrsschilder, sind aber sowohl in ihrer Farbe als auch der Form verändert. Dass sie an vertrautes erinnern, aber ganz offensichtlich in einem ganz anderen Kontext stehen, verleiht ihnen etwas rätselhaftes.
Der jüngste Künstler der Ausstellung »Cutting Edge« ist der 1940 in Dessau geborene Imi Knoebel. Auch hier ist der Einfluss Mondrians ganz deutlich. Allerdings ist er der einzige Künstler der Ausstellung, dessen Werke ihre räumliche Wirkung nicht allein der Maltechnik verdanken. Die Werke haben oft eher etwas von einer kleinen Skulptur, als von einem Gemälde. Manche Arbeiten Knoebels ragen mehrere Zentimeter in den Raum hinein und lassen sich dennoch wie ein Gemälde an der Wand befestigen. Knoebel verwendet, ähnlich wie Mondrian, geometrische Formen wie Rechtecke und Quadrate wie Bauteile für seine Konstruktionen. Die Farbgebung ist meist sehr lebendig und erinnert mit viel Weiß sowie fröhlichen Grundfarben wie Blau, Rot und Gelb zum Teil ebenfalls sehr an Mondrian. Knoebel löst die Bildelemente aus ihrer starren Flächigkeit heraus und ordnet sie lebendig und überraschend an. Unter dem Eindruck der Multimedia-Ausstellung »Von Monet bis Kandinsky. Visions Alive« wirkt das wie eine weitere Variante des Farben- und Formenspiels mit Gestaltungselementen.