Buchrezensionen

Heike Carstensen: Julie Wolfthorn – Mit Pinsel und Palette bewaffnet will ich mir die Welt erobern. Hentrich und Hentrich Verlag

Julie Wolfthorn (1864–1944) war eine der bekanntesten bildenden Künstlerinnen des beginnenden 20.Jahrhunderts in Deutschland. Sie stritt für Emanzipation und war eine der ersten Frauen, welche die Malerei zu ihrem Beruf machten. Gleichwohl ist sie, im Gegensatz zu ihren Zeitgenossinnen Käthe Kollwitz und Paula Modersohn–Becker, heute so gut wie vergessen. Die Kunsthistorikern Heike Carstensen erzählt in der Buchreihe »Jüdische Miniaturen« die Geschichte der Julie Wolfthorn. Andrea Richter hat sie gelesen.

Cover © Hentrich und Hentrich.jpg
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 »Wie konnte es dazu kommen, dass eine der erfolgreichsten Porträtmalerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts so lange vergessen blieb?« Mit dieser Frage eröffnet Autorin Heike Carstensen ihre aktuelle Publikation über die Malerin Julie Wolfthorn (1864–1944).

1864 kommt Julie als fünftes Kind einer jüdischen Familie im westpreußischen Thorn zur Welt. Mit sechs Jahren wird sie Vollwaise, wächst fortan bei ihren Großeltern auf. Mit 19 Jahren geht sie nach Berlin. Ihr Wunsch: Sie will Malerin werden.
Da Frauen in Berlin zu dieser Zeit ein akademisches Studium untersagt ist, besucht sie die Privatakademie Colarossi in Paris, verbringt danach mehrere Monate in der Normandie und in Grez–sur–Loing, einer Künstlerkolonie in Fontainebleau.

Zurück in Berlin wird sie Gründungsmitglied der Berliner Secession, d e r führenden deutschen Künstlervereinigung des beginnenden 20.Jahrhunderts. Die Gruppe um Max Liebermann (1847–1935) wendet sich gegen den an den Akademien gelehrten Historismus und postuliert modernere, zeitgemäßere Ausdrucksformen.
Die Secessionistinnen kämpfen für die Gleichberechtigung, vor allem fordern sie die Zulassung von Frauen zum Kunst–Studium an der Königlich Preußischen Akademie. Julie Wolfthorn agitiert und gestaltet die Titel moderner Magazine wie »Jugend« und dem »Vorwärts«.

Auf der Suche nach Inspiration, neuen Motiven und Erweiterung ihres malerischen Könnens reist die junge Malerin quer durch Europa. Während ihrer Aufenthalte in den Künstlerkolonien Worpswede, Ahrenshoop, Dachau, Walkemühle und Ferch sowie ihren Reisen nach Rom und Paris entstehen viele hundert Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder.
Jeden Sommer pilgert sie zusammen mit der übrigen Berliner Kulturbohème nach Hiddensee. Auf der kleinen Ostseeinsel treffen sich Regisseur Billy Wilder (1906–2002), der Dichter Joachim Ringelnatz (1883–1934), der Stummfilmstar Asta Nielsen (1881–1972), die Lyrikerin Masha Kaléko (1907–1975) und viele andere. Hier gründen Julie Wolfthorn, Clara Arnheim (1885–1942), Augusta von Zitzewitz (1880–1960) und Henni Lehmann (1862–1937) den »Hiddenseer Künstlerinnenbund«, einer Gruppe von zeitweise bis zu 12 Frauen, die einmal jährlich eine große Verkaufsschau veranstaltet.

Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus 1933 wird Hiddensee zur »judenfreien Insel« erklärt, die jüdischen Mitglieder des Hiddenseer Künstlerinnenbunds mit einem Ausstellungsverbot belegt, was einem Berufsverbot gleichkommt.
Dass sie bis 1925 in einer sogenannten »jüdischen Mischehe« mit dem Kunstkritiker Rudolf Klein verheiratet war, bietet ihr zu Beginn der NS–Zeit einen gewissen Schutz. Als sie beschließt zu emigrieren, ist es dafür bereits zu spät. 1942 wird Julie Wolfthorn zusammen mit ihrer Schwester nach Theresienstadt deportiert, sie stirbt kurz vor ihrem 81.Geburtstag.

Ebenso unklar wie der Verbleib der sterblichen Überreste der Künstlerin ist die Frage nach ihrem künstlerischen Nachlass. Einiges wurde von den Nazis vernichtet, anderes geriet auf verschiedenen Wegen in Privatbesitz. Obwohl sich die Kunstgeschichte seit den 1970er Jahren verstärkt mit Malerinnen beschäftigt, ist diese so wichtige Künstlerin bis heute immer noch relativ unbekannt. 2009 fand eine erste Einzelaustellung mit Bildern von Julie Wolfthorn statt. Eine Antwort auf die von ihr selbst in der Einführung gestellten Frage, wie es dazu kommen konnte, dass eine der erfolgreichsten Porträtmalerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts so lange vergessen blieb, deutet die Kunsthistorikern in dem schmalen Büchlein nur an.

Vermutlich liegt der Grund in der Shoah. Denn die Verfolgung und Vernichtung jüdischer Künstler*innen hatte in vielen Fällen auch das Vergessen ihres Werkes zur Folge. Im Gegensatz zu nichtjüdischen Künstlerinnen, wie Käthe Kollwitz (1867–1945) oder Paula Modersohn–Becker (1876–1907), deren Werk nach dem Ende der Nazi–Diktatur wieder ausgestellt wurden, waren die Arbeiten jüdischer Künstler*innen entweder vernichtet, verschollen oder gestohlen und das Oevre nur noch lückenhaft vorhanden. Auch fehlte das Netzwerk: Familienmitglieder, Freunde, Kollegen, Sammler und Mäzene. Antisemitismus existierte weiterhin, auch im Kulturbereich.

Die Autorin Heike Carstensen forscht seit längerem zu Leben und Werk Julie Wolfthorns. 2011 hat sie über die Malerin und Grafikerin promoviert, das aktuelle 87 Seiten umfassende Büchlein liest sich als kurze Zusammenfassung ihrer Forschungsergebnisse. In leichter Sprache geschrieben ermöglicht die Autorin einen lebendigen Einblick in die persönlichen Lebensumstände und die soziokulturellen und politischen Bedingungen unter denen die Künstlerin ihren Beruf ausübte. Aus Zitaten von Weggefährt*innen und Auszügen aus Briefen spricht die Porträtierte direkt zu den Leser*innen. 25 Abbildungen ihrer Arbeiten, größtenteils farbig, ergänzen den Text. Was fehlt, ist ein genauerer Blick auf das eine oder andere Werk und dessen – zumindest kurze – kunsthistorische und –theoretische Einordnung. Vor allem aber fehlt eine Antwort auf die in der Einleitung gestellten Frage.

Julie Wolfthorn – Mit Pinsel und Palette bewaffnet will ich mir die Welt erobern (Jüdische Miniaturen, Herausgegeben von Hermann Simon)
Autorin: Heike Carstensen
Hentrich und Hentrich Verlag Berlin
88 Seiten

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