Die Malerei der »Brücke«-Künstler hat mit der Lyrik ihrer Zeit eines gemein: das Thema Großstadt. Nicht nur, dass es die Bild- und Wortkünstler gleichermaßen nach Berlin zog, ihre Kunst befruchtete sich auch gegenseitig. Den Beweis dafür will der Gedichtband nun antreten. Marco Hompes hat ihn gelesen.
Die Publikation des Brücke-Museums Berlin widmet sich den Wechselwirkungen, Analogien und Verbindungen zwischen Mitgliedern der expressionistischen Künstlergruppe »Die Brücke« und zeitgenössischen Dichtern.
Der Hauptteil des Buchs präsentiert sich als reich bebilderter Gedichtband. Bedeutenden Gedichten expressionistischer Lyriker und einer Lyrikerin (Else Lasker-Schüler) werden Abbildungen von 35 Papierarbeiten aus der Sammlung des Brücke-Museums gegenübergestellt. So trifft beispielsweise Jakob von Hoddis' ikonisches »Weltende« auf den Holzschnitt eines verwundeten Soldaten von Max Pechstein, gefolgt von einer doppelseitigen Darstellung eines »Eisenbahnunglücks« von Ernst Ludwig Kirchner. Dieser Dialog zwischen Bild und Text gelingt meist recht gut, was allerdings auch nicht besonders überrascht: Immerhin ist die Schnittmenge innerhalb des breiten Themenspektrums bei den (Berliner) Expressionisten in Dichtung und Grafik besonders hoch. Zu nennen ist hier vor allem das Leben in der Hauptstadt, welches eine zentrale Rolle in beiden Gattungen einnimmt: Die alltäglichen Hektik, das befremdende Gefühl von Anonymität oder das zwielichtige Treiben in der nächtlichen Großstadt werden zum Ausdruck eines neuen Zeitgeists stilisiert. Doch auch die Darstellung von Personen jenseits der bürgerlichen Normen wird prägend für das junge Jahrtausend: In zahlreichen Gedichten und grafischen Arbeiten sind Bettler, Huren, Mörder oder Geisteskranke die neuen Protagonisten.
Wirklich neu ist diese Art der Gegenüberstellung nicht. Nett anzuschauen und zu lesen ist sie allemal. Kritik muss jedoch bezüglich formaler Gesichtspunkte geübt werden: Während bei den Gedichten Titel, Autor sowie damaliger Erscheinungsort genannt werden, fehlt dies bei den bildnerischen Werken. Um den Urheber einer Arbeit zu erfahren, müssen die Leserinnen und Leser am Ende des Buchs in einem Abbildungsverzeichnis suchen. Das mag vielleicht mit fehlendem Platz zu tun haben. Die Zeichnungen, Aquarelle und Drucke wurden nämlich ganzseitig, gänzlich ohne weißen Rand abgedruckt. Dies vermittelt leider mitunter den Eindruck, man habe es lediglich mit einem Bildausschnitt zu tun. Irritierend ist außerdem, dass es nirgendwo ein Verzeichnis der Gedichte gibt. Möchte man also einen bestimmten Text lesen, muss man sich diesen auf den rund 110 Seiten selber suchen.
Positiv zu erwähnen sind hingegen die beiden vorangestellten Aufsätze. In ihrem Text veranschaulicht Magdalena M. Moeller, dass die Brücke-Künstler immer schon eine starke Affinität zu literarischen Themen hatten. Die Autorin beschreibt, dass schon in den Dresdner Jahren nach gemeinsamen Aktzeichenstunden Texte rezitiert und diskutiert wurden. Trotz des regen Interesses für Literatur, entstanden in den frühen Jahren nur einige wenige Buchillustrationen. Als es die Maler und Grafiker schließlich in die Hauptstadt Berlin zog, fanden Kunst und Dichtung auch inhaltlich zueinander und es ergaben sich spannende Synergieeffekte. Die Autorin erläutert die persönlichen Kontakte zwischen den Literaten und den bildenden Künstlern und deren Aus- und Wechselwirkungen. Besonders deutlich wird dies am Falle Ernst Ludwig Kirchners, der beispielsweise wesentliche Impulse durch die innige Freundschaft und das Œuvre Georg Heyms erhielt.
Der zweite, wesentlich längere Text von Jürgen Baumgarten widmet sich stärker den literarischen Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hierbei ist es spannend zu lesen, welche Protagonisten und Publikationsorgane, welche Literaturclubs, Künstlernetzwerke und »Cabarets«, den schnellen Aufstieg der expressionistischen Lyrik beförderten. »Kaum ein Gedicht blieb ungedruckt«, schreibt der Autor beispielsweise und macht somit deutlich, dass es eine immense Nachfrage seitens der Redakteure wie auch des Publikums gab. Wurde ein Text bei einer Abendveranstaltung gelesen, erschien er meist nur kurze Zeit später in einer der bekannten Zeitschriften wie »Der Sturm«, »Die Aktion« oder der »Der Demokrat«.
Aufschlussreich ist die Darstellung des »Generationenkonflikts« zwischen den jungen Lyrikern und Autoren wie Stefan George, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal. Es dürfe hier nicht von einem Bruch gesprochen werden, so der Autor, sondern eher von respektvoller Distanz. Der Grund hierfür sei, dass die Expressionisten sich anfangs von jedem ethischen Pathos entfernen und sich stattdessen auf das »Ich«, das einzelne Subjekt konzentrieren wollten. Baumgarten stellt klar, dass den legendären »expressionistischen Schrei« in den Anfangsjahren, um 1910 (außer Johannes R. Becher) niemand ausstieß. Auch sind die Dichter dieser Jahre kaum als »Revolutionäre« zu bezeichnen. Es ging ihnen, ebenso wie den Malern, nicht darum, die Kunst zu zerstören. Schließlich blieben die Künstler den klassischen Gattungen treu. Lediglich die Motive änderten sich, womit auch neue Techniken erforderlich wurden. Hieran anschließend widmet sich der Autor verschiedenen Überthemen, wie »sexuelle Befreiung», »Sehnsucht nach Geist und Tat« oder »Der Weltkrieg». Diese dienen zum einen dazu, einen Überblick über die behandelten Themen wie über die Beweggründe der Dichter im Allgemeinen zu erhalten. Gleichzeitig können innerhalb dieser inhaltlichen Blöcke bestimmte Lyriker und deren Arbeiten intensiver behandelt werden.
Insgesamt bietet die Publikation ein schlüssiges, anschauliches Bild der expressionistischen Dichtung, das gerade auch für Kunsthistoriker aufschlussreich sein dürfte. Bild und Text werden ansatzweise gleichwertig nebeneinander gestellt. Was die Unterschiede zwischen Lyrik und bildender Kunst sind, wäre sicher ebenfalls spannend gewesen, wird in der Publikation aber leider nicht behandelt.