Buchrezensionen

Martin Gayford: Britische Kunst. Freud, Bacon, Riley, Auerbach, Kossoff, Hockney & Co. Piet Meyer Verlag

Kurz vor dem Jahreswechsel hat Großbritannien seinen Austritt aus der Europäischen Union endgültig abgeschlossen. Passend dazu widmet sich der folgende Artikel der britischen Hauptstadt in den Jahren 1945–1970: Das ist eine Wirtschaftswundergeschichte und die Bühne für das legendäre Swinging London. In Martin Gayfords neuem Buch geht es jedoch weniger um den Siegeszug der englischen Pop–Art als vielmehr um die Erinnerung an eine weitgehend in Vergessenheit geratene Metropole der Malerei. Torsten Kohlbrei hat die Britische Kunst auf 449 Seiten verfolgt.

Cover © Piet Meyer Verlag
Cover © Piet Meyer Verlag

 Modernists and Mavericks: Bacon, Freud, Hockney and the London Painters. Aus dem Originaltitel wird in der deutschen Ausgabe: »Britische Kunst: Freud, Bacon, Riley, Auerbach, Kossoff, Hockney & Co«. Eine Übersetzung, die nachvollziehbar ist, zeigt sie doch, dass Martin Gayfords Buch vor einer Interpretation zuerst und vor allem eine Bestandsaufnahme liefert. Gerade für alle Kunstinteressierte, die nicht im Detail mit der britischen Szene vertraut sind, gibt es dabei einiges zu entdecken.

Zunächst führt Martin Gayford seine Leser in eine von Bombenkrieg und Isolation gezeichnete britische Hauptstadt. Dort wird das künstlerische Leben von einer sehr kleinen Gruppe getragen. Der Maler Lucian Freud (1922–2011) schätzt, dass in Großbritannien damals lediglich ein halbes Dutzend Künstler von ihrer Arbeit leben können. Malerei gilt als Hobby, eine Haltung, die auf Londons – bereits vor dem Krieg – sehr beschränkte Rolle neben den kontinentalen Kunstmetropolen verweist. Das Jahr 1945 markiert daher einen Wendepunkt: Denn nun drängen mehr junge Menschen an die Kunstschulen und es entstehen Gruppen, die für künstlerische Positionen stehen. Die Euston–Road–School etwa, getragen von William Coldstream (1908–1987), einem Maler und späteren Slade–School–Direktor (ab 1949) sucht nach einem »objektiven« Zeichenstil, der stark an Proportionen ausgerichtet ist. Dagegen beeindruckt der exzentrische Künstler und Kunstlehrer David Bomberg (1890–1957) seine Schüler – darunter auch Frank Auerbach (*1931) und Leon Kossoff (1926–2019) – durch die Ernsthaftigkeit, die seinen expressionistischen Umgang mit Farbe als Ausdrucksmittel bestimmt.

Martin Gayford beschreibt diese Kunstinseln voller Sympathie und mit großem Interesse für die biographischen Anstrengungen, etwas zu lehren, zu lernen – sich zu behaupten. Das größte Diskussionsfeld liegt jedoch auch in London nicht in der Frage nach Farbe und Zeichnung, sondern in der Auseinandersetzung mit der Abstraktion. Dabei begegnet man weitgehend unbekannten Namen wie dem des abstrakten Malers William Gear (1915–1997), dessen »Autumn Landscape« (1951) vom Arts Council mit einem Preis ausgezeichnet wird und danach wütende Proteste hervorruft. Oder den zeitweise gefeierten Victor Pasmore (1908–1998), dem »Abstraktions–Pionier« Roger Hilton (1911–1975) sowie der später dem »Action Painting« verpflichteten Künstlerin Gillian Ayres (1930–2018).
Trotzdem: das kreative Ökosystem bleibt weitgehend farblos. Die von Gayford zusammengetragenen Namen, Orte und Ausstellungstitel verstärken das Lokalkolorit und damit den Kontrast zu den Zentren Paris und New York. Daran können auch die Auftritte von singulären Größen wie Lucien Freud und Francis Bacon (1909–1992) kaum etwas ändern.
Erst Ende der fünfziger Jahre findet die britische Kunstszene zu ihrem eigenen Thema: die Arbeiten sollen mit den Worten Richard Hamiltons (1922–2011): »günstig, massengefertigt, jung, geistreich, sexy, effekthascherisch, glamourös und ‚Big Business‘« sein. – Also Pop!
Zwischen dem ersten von Eduardo Paolozzi (1924–2005), Richard Hamilton und Lawrence Alloway (1926–1990) initiierten Treffen der »Independent Group« (1952) bis zum Eintreffen des legendären »RCA–Jahrgangs« mit Derek Boshier (*1937), R.B. Kitaj (1932–2007), Peter Philipps (*1939), Allen Jones (*1937) und David Hockney (*1937) im Jahr 1959 hat sich das Bild des Alltags verändert.

Anstatt der Dominanz von Grau und Braun wagen Kleidung und Inneneinrichtung stärkere Farben. Premierminister Harold Macmillan kann 1957 verkünden, dass es die Mehrheit »noch nie so gutgehabt« hat.
Parallel zur gewandelten Stimmung werden Werbung, Popkultur und Konsum als Alltagsrealität bildwürdig. Dabei gelingt es den im Schatten des neuen Labels »Pop« arbeitenden Künstlern, einen Weg zu finden, der sich von zeitgleichen Entwicklungen in den USA abhebt. Dennoch: Zeichnung, Figuration und Narration bleiben in London weiterhin prägend, anscheinend sind die jungen Künstler nicht bereit, das Handwerkszeug ihrer Schulen und Akademien ganz aufzugeben, selbst wenn man – wie es Allen Jones 1960 geschieht – vom Royal College verwiesen wird.

Diese Unterschiede werden in Gayfords Buch, das auf Interviews aus 25 Jahren beruht, zwar angedeutet, der Rhythmus der Publikation aber durch die Darstellung von biographischen Momenten markiert. So zerfallen die 449 Seiten in eine grob chronologisch geordnete Abfolge von teils sehr amüsanten Einzelbetrachtungen. David Hockney erhält ausgiebig Raum ebenso – im letzten Viertel – Bridget Riley (*1931), eine der wenigen Frauen, die sich in der von Gayford eindeutig kritisch als männerfixiert beschriebenen Kunstszene behaupten kann.
Im Nachwort macht Gayford dann noch einmal deutlich, welcher Gedanke die Seiten zusammenhalten soll: Es geht um ein melancholisches, störrisches Plädoyer für die Malerei in jeder authentischen Form. Diese Position formuliert er mit einer von Theorie unbeschwerten Sprache: »Das war es, was [alle Künstler] miteinander verband: das Vertrauen darauf, dass dieses alte Medium [Malerei] neue und wunderbare Dinge leisten konnte.«
So übernehmen London und die Arbeiten, die über zwei Jahrzehnte dort entstanden sind, die Kronzeugenschaft für eine Überzeugung, die Gayford von R. B. Kitaj formulieren lässt: »… man wird nie aufhören, das menschliche Gesicht zu zeichnen, mit zwei Augen und einem Mund.«

Britische Kunst. Freud, Bacon, Riley, Auerbach, Kossoff, Hockney & Co
Martin Gayford  (Autor)
440  Seiten
Piet Meyer Verlag 
978-3-905799-61-3 (ISBN)

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